Allen Unkenrufen zum Trotz: Jena kann sich sehen lassen!
Ein Auswertungstext zum 5. Antirassistischen Grenzcamp in Jena (samt Camp-Vorschlag für’s Jahr 2003)
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 467 /22.11.2002
Soviel steht fest: Das 5. Antirassistische Grenzcamp in Jena ist kein Spaziergang gewesen – weder süss noch einfach. Und doch: Politisch gibt es – jedenfalls in meinen Augen – keinen Grund für das fast schon bleierne Schweigen, welches sich in den letzten 3 Monaten rund ums’s Jenaer Camp ausgebreitet hat. Denn so aufreibend und kompliziert, mitunter auch verletzend Einiges gewesen ist, so sehr sollte umgekehrt nicht aus dem Blick geraten, dass Anderes äusserst konstruktiv, spannend und vielversprechend verlaufen ist. In diesem Sinne erscheint mir weder Jubel- noch Untergangsstimmung angebracht zu sein. Erforderlich ist vielmehr, umfassend Bilanz zu ziehen, also zu gucken, ob, wie und auf welche Weise das in Jena Begonnene (incl. all des Schwierigen) fortgeführt werden könnte. Als einen diesbezüglichen Beitrag möchte ich deshalb die hier zur Debatte gestellten Überlegungen verstanden wissen.
Angemerkt sei nur noch, dass ich (um es nicht ausufern zu lassen) Prioritätensetzungen vorgenommen habe. Insofern soll’s heute nur um zweierlei gehen: zum einen um die Frage, ob Jena seinen im Vorfeld stark gemachten politischen Zielsetzungen gerecht geworden ist, zum anderen um den Versuch einer Einschätzung, was einige der Abläufe im Zuge des (am 4. Camptag erfolgten) sexistischen Übergriffs betrifft. Schliessen möchte ich allerdings mit einem konkreten Camp-Vorschlag für’s Jahr 2003.
Die politischen Zielsetzungen – und was aus ihnen wurde…
a) Flüchtlingspolitik: Nachdem flüchtlingspolitische Anliegen auf den bisherigen Camps meisst nur am Rande mitgelaufen und deshalb auch die teilnehmenden Flüchtlinge regelmässig in’s Abseits geraten waren, stand diesmal von Anfang an fest, dass der politischen und sozialen Situation von Flüchtlingen ein zentraler Stellenwert zukommen würde. Das aber hatte zur Folge (was ja keinesfalls selbstverständlich ist), dass es seitens der Nicht-Flüchtlinge eine ungleich höhere Bereitschaft als sonst gab, sich ernsthaft auf flüchtlingspolitische Anliegen einzulassen – und der Gelegenheiten hierzu gab es vieler: sei es bei mehreren Aktionen rund um die Flüchtlingsunterkünfte in Markersdorf und Jena-Forst, sei es beim ständigen Abholen und Wegbringen von Flüchtlingen oder sei es bei unzähligen Gesprächen auf dem Camp bzw. im Verlauf irgendwelcher Aktionen. Mit anderen Worten: Diesmal ist es nicht das schlechte Gewissen gewesen (samt seiner aggressiv-ressentimentgeladenen Kehrseite), welches die Nicht-Flüchtlinge umtrieben hat – mit bizarren Konsequenzen wie z.B. beim letztjährigen Auftaktplenum in Frankfurt. Nein, diesmal ist es wirkliches, politisch wie persönlich motiviertes Interesse gewesen, welches Nicht-Flüchtlinge hat aufmerksam sein lassen. Und das hatte Wirkung: Selbst alt gediente KämpferInnen mussten eingestehen, dass sie sich bislang ein eher geschöntes Bild davon gemacht haben, was es heissen kann, als Flüchtling in Deutschland leben zu müssen. Allein diesen, von vielen auch als solchen benannten Erkenntnisfortschritt gilt es, als binnen-politschen Erfolg zu verbuchen (und zwar unabhängig davon, dass die Aussenwirkung des Camps eher mager ausgefallen ist)!
Was indessen nicht geklappt hat, ist, besagten Erkenntnisfortschritt praktisch-politisch zu wenden. Das heisst: Debatten, was als nächstes zu tun sei, hat es kaum gegeben, allenfalls Absichtserklärungen. Das hatte zum einen mit fehlendem input zu tun: So wurde z.B. keine Veranstaltung angeboten, in welcher die derzeit an den Start geschobene ‚Kampagne gegen Abschiegungen, Abschiebeknäste und Abschiebelager‘ zur Diskussion gestellt worden wäre; was schade ist, schliesslich hätte dies ein idealer Anknüpfungspunkt für die frisch vor Ort gewonnenen Einsichten werden können. Zum anderen hat in Jena der – ich sag‘ mal – kommunikative Engpass das Feld beherrscht. Oder direkter: Debattiert und gestritten wurde insgesamt wenig – mit Ausnahme der Auseinandersetzungen rund um den sexistischen Übergriff! Das ist sicherlich nichts Neues. Schon lange tut sich die (Radikale) Linke schwer damit, Inhalte, Taktiken und Strategien verbindlich zu diskutieren. Doch das ist nur die eine Seite der Medaillie. Die andere ist, dass es in Jena einen weiteren Enpass gegeben hat, einen Engpass, den an dieser Stelle nicht zu problematisieren, unehrlich wäre: Da Flüchtlingspolitik zu einem der zentralen Schwerpunkte erklärt worden war, stand von vorneherein fest, dass es in Jena viel um die insbesondere von The Voice getragene Antiresidenzpflicht-Kampagne ‚for freedom of movement‘ gehen würde (zumal ja die permanenten Residenzpflichkontrollen rund um’s Camp jede Menge diesbezüglichen Anlass geboten haben). Allein: Ernsthaft ist es um besagte Kampagne nie gegangen! Weder wurde sie in ihren weiterreichenden Dimensionen ausgeleuchtet (globalisation of movement…) noch auf Gemeinsamkeiten & Differenzen mit anderen Kampagnen bzw. Kampagnenvorschlägen hin ‚abgeklopft‘.
Und auch wurde kaum der Frage nachgegangen, inwieweit der eng mit der freedom-of-movement-Kampagne verschwisterte Slogan ‚Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört‘ für andere, ebenfalls von Rassismus betroffene MigrantInnen, Illegale, etc. Sinn macht. Für die diesbezügliche Debattenlosigkeit sind meines Erachtens nicht zuletzt AktivistInnen von The Voice verantwortlich. Denn anstatt ‚ihre‘ Kampagne zur Diskussion ‚freizugeben‘ (auf dass wichtige Fragen gemeinsamgeklärt werden können), haben diese sich – jedenfalls meisstens – auf harnäckigen Polit-Agit-Prop beschränkt: Wo immer es zu passen schien (und oftmals passte es nicht), wurden die jeweils Anwesenden in’s ABC der Antiresidenzpflicht-Kampagne eingeführt, und das auf eine Weise, die von Vielen als unkommunikativ, oberflächlich und ignorant empfunden wurde. Das aber hatte zur Folge, dass sich vor allem auf Seiten der Nicht-Flüchtlinge schon bald Ärger regte, hatten doch Viele einfach keine Lust, ständig die immer gleichen Lektionen über sich ergehen zu lassen. Dass es in Jena zu derartigen Kommunikations- und Stimmungsstörungen gekommen ist, ist politisch brisant, und das nicht zuletzt deshalb, weil entsprechende Vorwürfe gegenüber The Voice alles andere als neu sind. So zirkulierte z.B. im Vorfeld des Camps ein offener Brief an The Voice, in welchem 2 an der Vorbereitung früherer Grenzcamps beteiligte Frauen The Voice vorwerfen, mit anderen Gruppen und Personen aus bloss taktischen bzw. instrumentellen Erwägungen zusammenzuarbeiten, nicht aber aus prinzipiellem Interesse, gemeinsam weiterzukommen. Hieraus folgt aber: Wir müssen in der Nachbereitung intensiv darüber reden, was es mit besagten Vorwürfen auf sich hat. Denn klar ist auch: Das bislang Geschilderte ist meine bzw. die Sichtweise vieler weiss deutscher AntirassistInnen. Was umgekehrt Voice-AktivistInnen dazu sagen, weiss ich nicht wirklich. Insofern ist nur eines sicher: Auf der kommunikativen Ebene gibt’s erhebliche Schwierigkeiten, und die müssen gelöst werden, sonst wird aus der langfristigen Zusammenarbeit nichts!
b) Flüchtlingsselbstorganisierung: Wie deren Gelingen unter’m Strich zu bewerten ist, das sollte in 1. Linie The Voice selbst beantworten (als einziger tatsächlich in die Camp-Vorbereitung involvierten Flüchtlingsselbstorganisation). Fest steht allerdings, dass deutlich weniger (ca 50-60) Flüchtlinge mobilisiert werden konnten als ursprünglich erhofft. Das lag zum einen an massiven Einschüchterungsstrategien seitens der Heimleitungen und der Bullen. Dieses Manko war von vorneherein bekannt -und war ja auch einer der Gründe, ein (unter anderem) flüchtlingspolitisch ausgerichtetes Camp zu organisieren. Insofern ist es natürlich bitter, genau an dieser, vom rassistischen Staat gezielt aufgebauten Hürde gescheitert zu sein (jedenfalls teilweise). Umgekehrt hatte das diesbezügliche Teil-Scheitern mit selbsteingebrockter Schwäche und somit mangelhafter Vorbereitungspower zu tun. Konkret mein‘ ich zweierlei: einerseits die Spaltung, welche sich innerhalb des deutsch-weissen Teils der Grenzcamp-Community im Vorfeld des Camps vollzogen hatte. Andererseits den Umstand, dass auch die Flüchtlingsselbstorganisationen nur mit halber Kraft am Start gewesen sind. So hatte insbesondere The Voice seine sowieso raren Kräfte mit Karawane- und Grenzcampvorbereitung auf 2 Grossprojekte aufgespalten. So denn es auch im nächsten Jahr Camps geben soll, wird über beides (abermals) zu reden sein, schliesslich kann sich die antirassistische Szene Ressourcenaufsplitterungen wie in diesem Jahr einfach nicht leisten!
c) Trans-identitäre Organisierung: ‚A new challenge‘ lautete es im Untertitel des diesjährigen Aufrufes zum Grenzcamp. Gemeint war, dass erstmals eine tatsächlich gleichberechtigte Kooperation ziwschen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen angestrebt sei – jenseits rassistischer Bevormundungen, wechselseitiger Instrumentalisierungen und anderer Unerfreulichkeiten. Die hierfür in’s Spiel gebrachte Parole hörte auf den leider etwas sperrig daherkommenden Namen der trans-identitären Organsierung – und sorgte bereits im Vorfeld für Missverständnisse (allen erläuternden Artikeln zum Trotz: vgl. www.nadir.org/camp02): Während die einen hierin nichts anderes als politisch abgedroschene Flüchtlingsunterstützung erkennen wollten, äusserten andere die Sorge, dass Konzepte wie die des Trans-identitären fast zwangsläufig den Blick für die tatsächlichen Schweinereien (wie Abschiebungen, rassistische Arbeitsverbote, etc.) trüben würden. Allein: Es handelt sich um Missverständnisse. Das Konzept des Trans-identitären zielt ab auf anderes: Sein Ausgangspunkt ist, dass die sozialen und politischen Trennungen, welche auch innerhalb der antirassistischen Szene zwischen Flüchtlingen, MigrantInnen, weissen Deutschen, etc. existieren, kein Zufall, sondern Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Trennungen sind, also davon, dass sich Rassismus über ein Regime (fein abgestufter) Ein- und Ausschlussmechanismen herstellt. Konkret: Dass MigrantInnen, weisse Deutsche, Flüchtlinge, etc derart selten kooperieren, hat damit zu tun, dass sie qua rassistischer Verhältnisse unterschiedliche Plätze im sozialen Kosmos ‚zugewiesen‘ bekommen und folglich nicht nur auf tendenziell unterschiedliche Umlaufbahnen geraten, sondern auch Identitäten herausbilden, die zwar ihre jeweiligen (auch strukturell erzwungenen) Umstände reflektieren, nicht aber ohne weiteres zusammenpassen. So betrachtet dürfte deutlich werden, was trans-identitäre Organisierung bezweckt: Ihr Ziel ist es, gesellschaftlich produzierte Trennungen aufzuheben – und das gemäss der Devise, dass ein (gegen welche Rassismen auch immer gerichteter) Antirassismus, der selber noch in den Fallstricken rassistischer Trennungslogiken verfangen ist, langfristig weder glaubwürdig noch erfolgsversprechend ist. Es bleibt: ‚Trennungen aufzuheben‘ bedeutet im Konzept des Trans-identitären nicht, bloss zusammenzuarbeiten. Nein, es geht um mehr, darum nämlich, die Identitäten nach und nach zusammenzuschmeissen, d.h. in einen gemeinsamen Prozess der Vermischung bzw. Hybridisierung einzutreten und so etwas eigenständig Drittes zu schaffen.
So weit, so gut. Was aber ist aus dem Trans-identitären in Jena tatsächlich geworden? Die Anwort ist ernüchternd wie knapp: Fast nichts! Das heisst: Wirklich tiefergehende Austausch- und Vermischungsprozesse hat es – auch in der Vorbereitung – allenfalls punktuell gegeben. Und das ist nicht erstaunlich: Während sich nämlich der deutsch-weisse Teil der Grenzcamp-Vorbereitung unter anderm ob der Frage zerstritten hat, in welchem Sinne intensivierte Kooperation zwischen Flüchtlingen, weissen Deutschen, MigrantInnen, etc. überhaupt notwendig ist, sind die AktivistInnen von The Voice (und andere Flüchtlinge) unter dem Motto auf die Strasse gegangen ‚Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört‘, was ja auch nicht gerade die Ausgeburt trans-identitärer Gesinnung ist. Kurzum: Es ist nicht falsch gewesen, das Projekt trans-identitärer Organisierung stark zu machen, aber auch nicht passgenau. Sinnvoller scheint es, trans-identitäre Organisierung als politisches Fernziel zu begreifen, welches sich – wenn überhaupt – im Prozess herstellt, d.h. Schritt für Schritt. Es ist also nichts, was mensch herbeireden kann, vor allem ist es nichts, was weisse AntirassistInnen von Flüchtlingen und MigrantInnen einfordern können. Denn ob und inwieweit die von Rassismus Betroffenen eigenständige (immer auch Selbstbehauptung verkörpernde) Organisationsformen aufgeben möchten (ob ganz oder teilweise), das können nur sie selbst entscheiden!
Dass es in Jena mit der trans-identitären Organsierung nicht hat sein sollen, heisst aber nicht, dass es nicht zu äusserst wertvollen Kontakten (vor allem) zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen gekommen wäre! Im Gegenteil: Noch nie gab es auf einem Grenzcamp ein derart ausgeprägtes Miteinander zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen wie in Jena. Konkret: Erstmalig wurde in grösserem Stil beieinander gezeltet – und auch das Essen und Trinken stand überwiegend im Zeichen des Mix. Die Plena und Veranstaltungen waren von Flüchtlingen wie Nicht-Flüchtlingen gleichermassen besucht, so wie Menschen beider ‚Seiten‘ regelmässig das Wort ergriffen haben. Schliesslich: Das gesamte Camp fand zweisprachig statt: Sämtliche Plenums- und Veranstaltungsbeiträge wurden – entweder eigenständig oder durch ÜbersetzerInnen – in’s Englische bzw. Deutsche übersetzt, in Übersetzungsecken wurden ausserdem weitere Sprachen kurzgeschlossen. Insbesondere dieser von allen mitgetragenen Bereitschaft, die Herausforderung der Vielsprachigkeit anzunehmen (und darin so manche Scham hinter sich zu lassen), ist es zu verdanken, dass Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge in Jena ziemlich häufig miteinander in’s Gespräch gekommen sind. Zusammengefasst heisst das: In Sachen intensivierter Kooperation hat Jena einiges in Bewegung gebracht, mehr als viele vergleichbare Anlässe zuvor. Insofern ist Jena eine äusserst vielversprechende Angelegenheit gewesen – wenn auch (noch lange) nicht trans-identitär!
Es bleibt: Im Rahmen der Camp-Vorbereitungstreffen hat es an 2 Freitagen sog. extra-meetings gegeben, auf welchen sich Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge über Probleme, Chancen und Fallstricke gemeinsamer Organisierung ausgetauscht haben. An diesen offenen Treffen haben weitaus mehr Flüchtlinge (insbesondere seitens The Voice und Brandenburger Flüchtlingsinitiative) teilgenommen als an der unmittelbaren Vorbereitung für’s Camp selbst – mit der Konsequenz, dass die auf den extra-meetings verhandelten Fragen und Probleme nicht im erhofften Ausmass fruchtbar gemacht werden konnten. Und doch: Beim Auftaktplenum in Jena wurden die wichtigsten Ergebnisse (insbesondere der extra-meetings) in Thesenform vorgestellt. Die verschriftlichte Form hiervon ist am Ende dieses Textes dokumentiert.
II Die Abläufe im Zuge des sexistischen Übergriffs – Versuch einer Einschätzung
Ich möchte mit einem kurzen Abriss des Ereignisablaufes beginnen (so wie er sich für mich aus heutiger Perspektive darstellt), auf dass deutlich wird, was meine grundlegenden Bezugspunkte sind:
a) Der Ereignisablauf: ‚Du schwule Sau!‘ ist sicherlich eine der häufigsten Beschimpfungen gewesen, welche an den ersten beiden Camptagen zu vernehmen waren. Und auch sonst ist das Klima – jedenfalls mancherorts – vergleichsweise schroff, sexistisch und homophob rübergekommen, wozu auch passte, dass beim Infozelt bereits nach 3 Tagen zahlreiche Klagen von Frauen über sexistische Anmache, Glotzerei, Sprüche, etc. eingegangen waren. All das ist schiesslich der Grund dafür gewesen, dass einige FrauenLesben die Initiative ergriffen und innerhalb kürzester Zeit eine sog. Anlaufstelle für solche gründeten, die im Rahmen des Camps Betroffene eines sexistischen Übergriffs geworden sind. Kaum öffentlich bekannt gemacht (Dienstag), wandte sich eine Frau an die Anlaufstelle und berichtete von einem massiven, am Vortag erlittenen sexistischen Übergriff. Die beiden von ihr identifizierten Täter wurden noch in der Nacht auf Mittwoch vom Camp geschmissen – getragen wurde diese Entscheidung von einer rund 30-köpfigen Gruppe aus Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen. Am nächsten Morgen wurde im Deliplenum (das eher eher einer Vollversammlung glich) die allgemeine Camp-Öffentlichkeit unterrichtet. Es herrschte Wut und Betroffenheit, aber auch (politische) Nachdenklichkeit, der Rausschmiss der betreffenden Männer wurde allgemein gutgeheissen. Neben anderem wurde überdies beschlossen, noch am Mittwoch-Abend ein allgemeines Männerplenum einzuberufen. Dieses wurde alsbald von 6 Männern vorbereitet, es sollte vor allem um sog. basics gehen wie z.B. das Definitionsrecht der Frau (Person) bei sexistischen Übergriffen.
Allein: es sollte anders kommen: Nachdem sich das Plenum über 1 ½ h lang dahingeschleppt hatte (in mitunter plenumstypischer Schwerfälligkeit), trat ein Mann auf den Plan und begann unter ausdrücklichem Verweis auf die betroffene Frau, dieser eine Mitschuld an dem von ihr erlebten sexuellen Übergriff zu geben; praktisch hiess das vor allem, dass er das urpatriarchale Stereotyp der Verführung bemühte. Zwei weitere Männer pflichteten direkt bei und behaupteten obendrein, dass der ganze Aufruhr nur den Zweck verfolge, das antirassistische Anliegen des Camps zu torpedieren. All dies stiess zwar auf heftigen Widerspruch, allein, in der aufgehitzten, ja tumultartigen Atmosphäre, welche sich hierauf entwickelte, war an Einigung nicht mehr zu denken. Alles redetet durcheinander – das Plenum löste sich auf. Damit schien indes der noch am Morgen im Deli-Plenum erzielte Konsens aufgebrochen bzw. widerrufen, das Wort vom sexistischen rollback machte die Runde, schon bald über den gesamten Platz. Insofern stand bereits jetzt fest, dass am nächsten Tag etwas passieren müsste – und so kam’s auch: Das erneut übervolle Deli-Plenum war gerade mal 30 min. alt, da ertönte ein Sirenenton und ca 20 Leute (3/4 FrauenLesben – 1/4 Männer) strömten zusammen mit ca 50 spontan Neugierig-Gemachten in’s Plenumszelt. In kurzen Megafon-Statements brachten sie ihre Stimmung zum Ausdruck, nicht zuletzt Wut, Empörung und Verletztheit. Es wurde klar gestellt, dass mit dem Männerplenum vom Vortag eine Grenze erreicht bzw. überschritten worden sei, einige Frauen seien bereits abgefahren. Schliesslich verlas ein Mann noch einige seiner (vor allem wütenden) Gedanken, die er sich im Anschluss an’s Männerplenum notiert hatte. Als ein Mann kurz darauf etwas erwidern wollte, wurde er sofort (was wohl verabredet war) durch einen abermaligen Sirenton unterbrochen, die Gruppe verliess sodann grösstenteils das Zelt. Im Deli-Plenum erfolgte anschliessend eine knapp 2-stündige, überwiegend konstruktive Aussprache. Beim abendlichen Abschlussplenum wurde schliesslich noch ein Statement des FrauenLesben-Plenums verlesen: Dort heisst es, dass unter den beteiligten FrauenLesben die Aktion am Vormittag zwar kontrovers diskutiert worden sei, dass bei zukünftigen Grenzcamps jedoch gewisse Mindeststandards (wie z.B. eine Anlaufstelle bei sexistischen Übergriffen) von vorneherein gewährleistet sein müssten. Das Statement endete mit dem Satz: ‚Das Projekt Grenzcamp liegt uns am Herzen.‘
b) Zur Einschätzung: Grundsätzlich gilt: Auf dem 5. Antirassistischen Grenzcamp in Jena ist eine Frau einem massiven sexuellen Übergriff ausgesetzt gewesen. Dank der Initiative einiger FrauenLesben konnte dieser Übergriff publik werden, und das mit der Konsequenz, dass nicht nur (soweit, wie das halt möglich ist) die betroffene Frau unterstützt, sondern auch ein insgesamt politischer Umgang mit dem Übergriff gefunden werden konnte. Das ist – jedenfalls in meinen Augen – die Prämisse, auf der alles Weitere aufzubauen hat, auch Kritik. Und hiervon gibt es reichlich. Denn so produktiv Vieles gewesen ist, so sehr ist Anderes schief gelaufen, nicht zuletzt ab Donnerstag. Darum soll es jetzt gehen, auch wenn ich mich (aus Platzgründen) auf die beiden mir wichtigsten Kritikpunkte beschränken möchte:
Politisch ist es ein Fehler gewesen, das Männerplenum zu skandalisieren. Denn als Ganzes hat dieses hierzu keinen Anlass geboten. Konkret: Es stimmt, dass im Verlauf des Männerplenums insbesondere 3 Männer unakzeptabeles Zeug geredet haben. Genau so richtig ist aber auch, dass nichts davon unwidersprochen geblieben ist, ja, dass es keinen Zeitpunkt gegeben hat, an dem nur der Hauch eines Mehrheitsverhältnisses zugunsten irgendeines ‚Counter‘-Beschlusses bestanden hätte. Dies zeigt, es ist falsch, im Zusammenhang mit dem Männerplenum von einem antifeministischen roll-back zu sprechen: Am Konsens aus dem Deli-Plenum ist allenfalls gekratzt worden, bedroht war er nie! Anders formuliert heisst das: Auf dem Männerplenum ist das passiert, weshalb es im real existierenden Patriarchat überhaupt Männerplena gibt: Diese gibt’s, damit Männer selbstkritisch und untereinander ihre je eigenen Sexismen ‚auseinandernehmen‘ – und es FrauenLesben auf diese Weise ersparen, ständig mit jedem Detail ihrer sexistischen Gedanken- und Gefühlswelt konfrontiert zu sein. Und weil das so ist (zumindest meines Erachtens) ist es auch reichlich unrealistisch, ein Männerplenum einzuberufen, nicht aber automatisch davon auszugehen, dass dort auch Müll ‚verzapft‘ werden wird. Worauf’s ankommt, ist doch vielmehr, dass eine ernshafte Auseinandersetzung mit diesem Müll erfolgt, schliesslich läuft ein Männeplenum ansonsten Gefahr, unter der Hand zum Männerbund zu werden und als solcher Täterschutz zu betreiben. Bloss: Davon kann hinsichtlich des Männerplenums in Jena einfach nicht die Rede sein!
Was aber wäre die bessere Alternative gewesen? Ein Versuch: Anstatt wild auszuschwärmen und aller Welt insbesondere die unakzeptablen (und für sich allein: verletzenden) Äusserungen einiger Weniger zu berichten, wäre es seitens der Männer, die das Männerplenum von einer antisexistischen Warte aus kritisiert haben, politsch verantwortlicher gewesen, eine Art Doppelstrategie zu fahren: einerseits für die allgemeine Camp-Öffentlichkeit eine Art Tatsachen-Bericht zu erstellen (ohne deshalb irgendetwas zu beschönigen oder vorzuenhalten!), andererseits für den nächsten Tag ein erneutes Männerplenum anzuberaumen und ggf. erst danach (wäre es abermals zu keiner Einigung gekommen) Alarm zu schlagen, und das ist unabhängig davon formuliert, ob sich einige FrauenLesben nicht trotzdem zur effektvollen Unterbrechung des Deli-Plenums entschieden hätten. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur der anti-sexistischen Sache dienlicher gewesen, nein, es wäre auch weniger Porzellan zerschlagen worden, d.h. es hätte so manche Verletzung vermieden werden können (die der Sache nach nicht zwingend gewesen ist), und auch hätte einer weiterer, politisch ebenfalls brisanten Schieflage vorgebeugt werden können. Konkret: Die Aktion im Deli-Plenum ist – Stichwort: Skandalisierung! – vergleichsweise hart rübergekommen! Insbesondere die Kompromisslosigkeit, mit welcher der schon erwähnte Redeversuch eines Mannes sofort blockiert wurde sowie der anschliessende ‚Auszug‘ (von dem nicht so recht deutlich wurde, ob es sich um einen situativen, einen persönlichen oder einen pinzipiellen Gesprächsabbruch handeln würde) erweckten den Eindruck, dass es das erstmal gewesen sein dürfte! Genau dieser Eindruck ist es aber gewesen, weshalb es zu besagter Schieflage gekommen ist. Denn indem es so so schien, dass der Streit um’s Männerplenum zum Bruch geführt habe (und es roch verdammt danach) , musste unweigerlich der Eindruck (!) einer Prioritätensetzung entstehen, der nämlich, dass für Einige ein guter Umgang mit Sexismus Voraussetzung dafür ist, weiterhin das antirassistische Projekt ‚Grenzcamp‘ mitzutragen. So denn eine solche Entscheidung individuell erfolgt, ist sie unbedingt zu achten und politisch ernstzunehmen (als ‚Effekt‘ patriarchaler Verhältnisse). Wird jedoch eine solche Prioritätensetzung aus prinzipiellen Gründen stark gemacht, d.h. als notwendiger politischer Schritt, dann wird’s fatal. Denn dann stellt sich unter der Hand eine Art Machtgefälle her: Danach sind es vor allem weisse Deutsche, die sich einen derartigen Schritt leisten können – und es sind grösstenteils weisse Deutsche an der Skandalisierungs-Aktion im Deli-Plenum beteiligt gewesen. Für sie ist der antirassistische Kampf keine Notwendigkeit, persönlich sind sie von Rassismus allenfalls indirekt betroffen. Demgegenüber haben MigrantInnen, Flüchtlinge, etc viel weniger Wahlmöglichkeiten, sie müssen antirassistisch kämpfen, weshalb sich Prioritätensetzungen für sie (wenn überhaupt) ungleich komplizierter bzw. widersprüchlicher darstellen. Das aber ist der Grund, weshalb die im Raum gestandene Drohung des Bruchs ein Machtgefälle geschaffen hat und somit eine Situation, die nicht nur prinzipiell, sondern gerade in Jena absolut daneben (gewesen) ist! Aufgelöst hat sich das Ganze erst durch das im Abschlussplenum verlesene Statement des (ja ebenfalls uneinigen) FrauenLesben-Plenums: Erst hierdurch wurde endgültig klar, dass es zwar massive Kritik gibt, dass diese aber nicht durch Bruch und Prioritätensetzung aufgelöst werden soll, sondern durch die gemeinsame Weiterentwicklung des Projekts ‚Grenzcamp‘ (gemäss der Devise, dass Sexismus und Rassimus nicht gegeneinander ausgespielt, sondern nur zusammen bekämpft werden können).
Ich möchte kurz zusammenfassen: Ich sage nicht, dass irgendeineR geziehlt eine prinzipielle Prioritätensetzung vorgenommen hat. Ich sage, dass durch Art und Weise der Gesamt-Inszenierung der Entstehung eines entsprechenden Eindrucks leichtfertig Vorschub geleistet wurde und dass hierdurch auch viele der im Laufe des Camps entstandenen Annäherungen leichtfertig auf’s Spiel gesetzt wurden. Schliesslich: Ich weiss, dass an der Aktion im Deliplenum nicht nur weisse Deutsche beteiligt waren. Allein: Das eigene (deutsch-weisse) Vorgehen kann nicht unter Verweis auf ebenfalls beteiligte Flüchtlinge und MigrantInnen legitimiert werden. Das hiesse nichts anderes, als diese zu Alibi-Figuren zu machen!
Ein weiterer Gedanke: Wie problematisch eine (tatsächliche bzw. leichtfertig nahegelegte) Prioritätensetzung ist, lässt sich auch daran verdeutlichen, dass es beileibe nicht nur FrauenLesben (Transgender, Schwule, etc) gewesen sind, für die Jena ein schwieriger und z.T. äusserst widersprüchlicher Balanceakt gewesen ist. Nein, auch für Flüchtlinge, MigrantInnen, etc ist es eine immer wieder zweischneidige Sache, innerhalb deutsch-weiss dominierter Zusammenhänge Politik zu machen. Denn das zu tun, bedeutet gemeinhin, eine Vielzahl subtiler und offener, mitunter auch aggressiv-plumper Rassismen und Paternalismen über sich ergehen lassen zu müssen. Allein: Aus ihrer strukturell relativ schwachen Position heraus ist es nicht zuletzt Flüchtlingen kaum möglich, auch mal auf die Pauke zu hauen und ebenfalls die Drohung des Austritts aus dem gemeinsamen Bündnis an die Wand zu malen. Denn sie wissen genau (und auch die deutsch-weissen AktivistInnen wissen es), dass eine derartige Prioritätensetzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine sonderlich grosse Bedrohung darstellen würde. Kurzum: Auch aus diesem, in Jena kaum zur Sprache gekommenen Blickwinkel wird deutlich, dass etwaiige Prioritätensetzungen und daraus hervorgehende Brüche einer besonderen Abwägung und Umsichtigkeit bedürfen – jedenfalls, so denn die an einem Bündnis beteiligten Gruppen von strukturell ausgesprochen ungleichen Positionen aus agieren.
Es wird Zeit, meinen zweiten Kritikpunkt zu formulieren. Er lautet: Es wurde überwiegend versäumt, einen offensiven und ehrlichen Umgang damit zu finden, dass die gesamte Konfliktdynamik von einem Flüchtlings-/Nicht-Flüchtlings-Gegensatz durchzogen und somit unterschwellig ethnisiert bzw. racialised gewesen ist. Konkret: In der Anlaufstelle haben sich ausschliesslich Nicht-Flüchtlinge engagiert. Die vom sexuellen Übergriff betroffene Frau war kein Flüchtling, die Täter wiederum waren Flüchtlinge.
Rausgeschmissen wurden diese von einer mehrheitlich aus Nicht-Flüchtlingen zusammengesetzten Gruppe. Die Äusserungen, welche letztlich (!) das Männerplenum haben eskalieren lassen, sind fast ausschliesslich von Flüchtlingen gemacht worden. Die anschliessende Skandalisierung ist hauptsächlich auf dem Mist von Nicht-Flüchtlingen gewachsen – und auch an der Intervention im Deliplenum sind hauptsächlich Nicht-Flüchtlinge beteiligt gewesen. Schliesslich: Der Mann, der im Deliplenum mittels Sirenenton unterbrochen wurde, war ein Flüchtling, so wie am FrauenLesben-Statement fast auschliesslich Nicht-Flüchtlinge mitgearbeitet haben. So betrachtet, wird erkennbar, wie realitätsfremd die politische motivierte Entscheidung gewesen ist, diesbezüglich nichts (Substantielles) zu sagen, sondern einzig auf die gebetsmühlenartig vorgetragene Selbstverständlichkeit zu ’setzen‘, dass Sexismus ein Problem zwischen ‚Männern‘ und ‚Frauen‘ sei und dass deshalb die mehr als offenkundige Flüchtlings-/Nicht-Flüchtlings-Ungleichverteilung allenfalls Zufall sein könne. Verdammt, das ist mieser Liberalismus – und ignorant obendrein: Nur weil sexuelle Gewalt nichts mit ‚race‘ zu tun hat (bzw. mit Flüchtling-Sein/Nicht-Flüchtling-Sein), heisst das doch nicht, dass mensch sich nicht mehr mit den konkreten Verhältnissen (samt ihres Zustandekommens) auseinandersetzen müsste. 3 Thesen mögen das Versäumte nachholen, jedenfalls ansatzweise:
These 1: Dass die beiden Täter Flüchtlinge gewesen sind, könnte (!) insofern nicht blosser Zufall gewesen sein, als es sich um Männer gehandelt hat, die ausschliesslich in ihrer ‚Eigenschaft‘ als Flüchtlinge für’s Camp mobilisiert wurden (quasi direkt von der ZAST weg…), nicht aber weil sie weitergehendes Interesse an linker Politik (und somit auch Antisexismus) signalisiert hätten. In diesem Sinne ist es bemerkenswert, dass einer der Voice-AktivistInnen bereits 2 Tage vor dem Übergriff just mit diesen beiden Männern in Streit geraten war: er hatte ihnen vorgeworfen, ihr einziges Interesse seien (deutsche) Frauen, sonst nichts! Denoch war er davor zurückgeschreckt, die beiden aufzufordern zu gehen, schliesslich sei Flüchtlingsselbstorganisierung eines der zentralen Ziele des Camps gewesen. Bemerkenswert an dieser Episode ist, dass sie ein grundsätzliches Dilemma sichtbar macht: Flüchtlingsselbstorganisierung ist zwar eine emanzipatorische Zielsetzung, allein, Flüchtling-Sein als solches bürgt für nichts. Männliche Flüchtlinge (die nicht in linken Gruppen wie The Voice organisiert sind) dürften im Grundsatz keinen Deut weniger sexistisch sein als der gemeine Durchschnittsmann auf der Strasse – mit der Konsequenz, dass sich allgemeine Flüchtlingsmobilisierung und Antisexismus permanent in die Quere zu kommen drohen. Und das auch deshalb, weil es ja (aus Gründen geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung) insbesondere Männer sind, die allgemeine Aufrufe zur Flüchtlingsselbstorganisierung beherzigen – so geschehen auch in Jena. Ach je, jetzt hör‘ ich’s bereits läuten: ‚Auch linke Männer sind sexistisch!‘ Klar, das stimmt. Und doch: Meine Behauptung ist, dass linke Organisierung die Chance deutlich erhöht, dass mann schon mal mit Antisexismus in Berührung gekommen ist (wie oberflächlich auch immer) und dass dies die Wahrscheinlichkeit sexueller Übergriffe relativ (!) senkt.
These 2: Dass es vor allem Nicht-Flüchtlinge waren, welche die Anlaufstelle, den Rauswurf der Täter und die Skandalisierung des Männerplenums ‚betrieben‘ haben, erscheint mir ebenfalls nicht unerklärlich. Vielmehr dürfte das Ausdruck davon gewesen sein, dass die Art und Weise, wie gehandelt wurde (samt analythischer und politischer ‚Hintergrund‘-Annahmen) sehr von den konkreten Kämpfen rund um’s patriarchale Geschlechterverhältnis geprägt gewesen ist, welche seit über 30 Jahren innerhalb linksradikaler Zusammenhänge in Deutschland ausgefochten werden. In diesen aus der Tiefe des kulturellen und politischen Raumes gespeisten Kämpfen stecken die meissten Flüchtlinge aber nicht drin, was auch der Grund dafür ist, dass diese immer wieder betonen (so auch in Jena), wie unbekannt ihnen besagte Kämpfe oftmals vorkommen. Dies zu sagen, bedeutet nicht, die Behauptung aufzustellen, wonach Flüchtlinge in Sachen (Anti-)Sexismus prinzipiell weniger auf dem Kasten hätten als Nicht-Flüchtlinge. Nein, um eine solche Bewertung geht’s genau nicht! Worum es geht, ist die schlichte Feststellung, dass es in Sachen (Anti-)Seximus eine Vielzahl unterschiedlicher Thematisierungs-, Problematisierungs- und Diskussionskulturen gibt und dass sich in Jena (gänzlich anti-trans-identitär) ausschliesslich der deutsche ‚beat‘ durchgesetzt hat. In diesem Sinne sollte zukünftig im Vorhinein geguckt werden, ob eine derartige Hegemonie des deutschen Anti-Sexismus-Beats tatsächlich gewollt ist (incl. aller Konsequenzen) oder ob nicht stärker über Zwischenformen nachgedacht werden sollte (und das hätte ggf. nichts mit roll-back, sondern mit trans-identitären Prozessen zu tun).
These 3: Dass das Männerplenum eskaliert ist und die tatsächlich skandalträchtigen Aussagen vor allem von 3 Flüchtlingen gemacht wurden, kommt gleichfalls nicht von ungefähr. Denn in meinen Augen ist das die Quittung dafür gewesen, dass in den 1 ½ Tagen davor einige Spannungsbögen (insbesondere zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen) gedeckelt, anstatt offensiv angegangen wurden. Zwei Beispiele: 1. Die beiden Männer wurden einzig in ihrer ‚Eigenschaft‘ als Täter vom Camp geschmissen, so wie die RausschmeisserInnen einzig in ihrer ‚Eigenschaft‘ als Anti-SexistInnen gehandelt haben. Und doch: Dass die Täter obendrein Flüchtlinge waren, die RausschmeisserInnen aber überwiegend Nicht-Flüchtlinge, das hat hierdurch seine Brisanz genausowenig verloren wie der Umstand, dass das Camp ein mehrheitlich weiss-deutsches gewesen ist. Insofern dürfte nachvollziehbar sein, weshalb es – so meine These – bei aller Einigkeit in der Sache unter der Oberfläche doch gebrodelt hat. Konkret: Viele der beteiligten Nicht-Flüchtlinge dürften ein komisches, mitunter schulddurchwachsenes Gefühl ob des Rausschmisses gehabt haben (was vor allem – jedenfalls in meinen Augen – an der fast schon penetranten Beflissenheit ablesbar war, mit welcher eins auf’s Neue versichert wurde, dass den Rausgeschmissenen selbstverständlicherweise ein Auto-Lift in die ZAST nach Jena-Forst angeboten worden ist). Umgekehrt dürfte es vielen Flüchtlingen schwer gefallen sein, den Rausschmiss vollkommen davon zu trennen, dass sie ja sowieso – Stichwort: Abschiebung – permanent mit der Gefahr eines von der Mehrheitsgesellschaft betriebenen Rausschmisses konfrontiert sind. 2. Nach dem Rausschmiss der beiden Täter wurde sich vor allem darum bemüht, auf gar keinen Fall den Eindruck aufkommen zu lassen, sexuelle Gewalt könnte in irgendeiner Form ein Sonderproblem männlicher, nicht zuletzt ’schwarzer‘ Flüchtlinge sein. Denn dass dies eines der hartnäckigsten (und mitunter folgenreichsten) Vorurteile rassistischer und neo-kolonialer Ideologien ist, das hatten die meissten ziemlich genau auf dem Schirm. Allein: Wie aus unterschiedlichsten Äusserungen während und nach dem Camp deutlich wurde, zirkulierte unter vielen der Flüchtlinge die diesbezügliche Angst trotzdem. Und das kann nicht erstaunen, schliesslich hat es in der Geschichte des Grenzcamps und anderer antirassistischer Projekte immer wieder Auseinandersetzugen rund um sexuelle Übergriffe gegeben, in welchen Flüchtlinge bzw. Flüchtlingsorganisationen mehr oder weniger subtilen Varianten eben dieses Vorurteils ausgesetzt waren.
Wie gesagt: Mit diesen Gefühls- und Spannungslagen wurde wenig bis gar nichts gemacht – es sollte so der Gefahr einer Ethnisierung des sexuellen Übergiffs bzw. der Konflikte rund um’s Männerplenum vorgebeugt werden. Ein solches Vorgehen ist aber allenfalls fromm: Menschen sind doch keine Argument-Automaten, welche mit Hilfe formal korrekter Argumente in die Lage versetzt werden, ihren Gefühlshaushalt fein säuberlich zu sortieren! Oder anders: Anstatt die Gefahr einer Ethnisierung durch faktische Nicht-Thematisierung bannen zu wollen, wäre das wechselseitige (!) Eingeständnis ungleich konstruktiver gewesen, dass bestimmte Gefühle sowieso zirkulieren (aller Gegenrede zum Trotz) und dass deshalb ein Umgang mit ihnen gefunden werden muss. Wäre das erfolgt, dann hätte das Männerplenum möglicherweise von vorneherein einen gänzlich anderen Verlauf genommen; zumindest hätte nicht sofort ‚Skandal!‘ gerufen werden müssen, anstatt einfach mal innezuhalten und zu gucken, ob’s wirklich nur blanker Sexismus gewesen ist, welcher bestimmte Männer hat sexistisch reden und agieren lassen. Bloss – es hat nicht sein sollen, es wurde vielmehr eine ziemlich hochgetunte, sich selbst die Argumente liefernde Konfliktdynamik in Gang gesetzt. Höhepunkt dieser Dynamik ist zweifelsohne die sofortige, megafongestützte Unterbrechung eines Mannes während der Aktion im Deliplenum gewesen. Denn dieser Mann ist, wie gesagt, ein Flüchtling gewesen – und warum es in einer derart multikomplexen Situation (wie sie in diesem Moment geherrscht hat) etwas völlig Anderes ist, einen ‚weissen‘ Nicht-Flüchtling oder einen ’schwarzen‘ Flüchtling zu unterbrechen, das hoffe ich, mittlerweile halbwegs rübergebracht haben zu können.
Ausblick: Ein Vorschlag für’s Jahr 2003
Die in Jena begonnene Kooperation zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen muss auf jeden Fall fortgesetzt bzw. intensiviert werden. Insbesondere die Ernsthaftigkeit und das Interesse, womit in Jena immer wieder substantieller Kontakt hergestellt wurde (2-Sprachigkeit als ein Beispiel unter mehreren) sind das Tafelsilber des Jenaer Canps. Und doch: Die rassistische Wirklichkeit ist komplexer, sie lässt sich nicht auf das in Jena dominierende Doppel ‚Flüchtling/Nicht-Flüchtling‘ eindampfen! Der Rahmen ist stattdessen offener zu gestalten: Flüchtlinge, Illegalisierte, bereits anerkannte AsylbewerberInnen, MigrantInnen (ob 1., 2. oder 3. Generation), schwarze Deutsche, weisse Deutsche, etc., all diese Menschen hat ein Antirassistisches Camp zu adressieren. In diesem Sinne sollte ein etwaiiges Folgeprojekt nicht zuletzt am 4. Antirassistischen Grenzcamp in Frankfurt anknüpfen, schliesslich hat es dort in thematischer Hinsicht verschiedenste, weiterhin hochaktuelle Öffnungen gegeben. Ich meine insbesondere die Debatten rund um die ‚Relative Autonomie der Migration‘, ‚Neue Migrationsregime‘, etc. Und noch etwas: Vor allem das Strassbourger Camp dürfte ein für alle mal gezeigt haben, dass Anti-Rassismus (bzw. Widerstand insgesamt) nur noch in trans-nationaler Perspektive Sinn macht, auch das hätte ein Folgeprojekt zu berücksichtigen.
Soweit die Prämissen – jetzt mein Vorschlag: Im Jahr 2003 sollte es ein in thematischer, personeller und trans-nationaler Perspektive aufgepepptes Camp geben, unter welchem (antirassistischen) Namen auch immer. Es sollte ebenfalls 10 Tage dauern, aber mit einer 3-tägigen Anti-Rassismus-Konferenz beginnen. Warum Konferenz? Seit die Radikale Linke das Politische Campen für sich entdeckt hat, ist immer wieder, insbesondere aus migrantischer ‚Ecke‘ der Einwand formuliert worden, dass die Form ‚Campen‘ nur ein sehr begrenztes Klientel ansprechen würde. Insofern könnte eine Konferenz zum niedrigschwelligen Anknüpfungspunkt werden, auf dass es gelingt, das Projekt ‚Grenzcamp‘ personell und thematisch heterogener, d.h. realitätstauglicher zu machen. Abseits davon hätte eine Konferenz auch den Vorteil, dass auf dem Camp-Gelände von Anfang an eine diskursive Grundstimmung Einzug erhalten würde, ein Umstand also, welcher nicht zuletzt die inhaltliche Ausrichtung vieler Aktionen beflügeln dürfte.
Als Ort möchte ich den Norden Berlins vorschlagen (wobei zu diskutieren wäre, ob die Konferenzräume nicht in Berlin angeheuert werden sollten). Auf diese Weise könnte zum einen Bezug auf die Flüchtlingskämpfe in Brandenburg genommen werden – genauso wie auf die gerade in Brandenburg immer erfolgreicher geführten Kämpfe gegen rechte (Jugend-)Hegemonien. Umgekehrt könnte in Berlin der Schulterschluss mit migrantischen, Illegalisierten-, etc. Communities bzw. Zusammenhängen (z.B. Kanak Attak) gesucht werden. Und schliesslich gäbe es mit den beiden Abschiebeflughäfen Tegel und Schönefeld, den grossen Bahnhöfen, den aufgenobelten Innenstadtbezirken, den Regierungs- und Diplomatenvierteln, etc, eine nicht zu überbietende Bandbreite antirassistischer Interventionsziele. Soweit der Vorschlag – die BerlinerInnen mögen mir nachsehen, dass ich als Ex-Berliner einen solchen Vorschlag unterbreitet habe. Es ist ja nur ein Vorschlag…
Olaf Bernau – alias Gregor Samsa
Anhang: Thesen vom Auftaktplenum in Jena zum Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen
Vorbemerkung:
Dieser Text versucht, wesentliche Grundzüge des Diskussionsprozesses in der Vorbereitungsgruppe dieses Camps transparent zu machen. An der Debatte beteiligt waren vor allem VertreterInnen von Selbstorganisationen der Flüchtlinge und Menschen aus mehrheitlich weiß-deutschen Zusammenhängen. Das heißt, dass Standpunkte von MigrantInnen der ersten, zweiten und dritten Generation, von SaisonarbeiterInnen, migrantischen SexarbeiterInnen und anderen hier kaum bzw. gar nicht vertreten waren, was sich auch entsprechend niederschlägt bei den angeführten Beispielen. Das soll aber umgekehrt auf keinen Fall bedeuten, dass deren Erfahrungen und Meinungen nicht wichtig wären für unsere Diskussionen auf dem Camp und darüberhinaus die politische Zusammenarbeit.
Vieles ist in den letzten Monaten gesagt und geschrieben worden (das meiste steht auch im Internet unter www.nadir.org/camp02). Eine Zusammenfassung war in diesem Rahmen nur möglich unter Inkaufnahme von Vereinfachungen und Auslassungen, wodurch leider auch viele eigentlich wichtige Nuancen unberücksichtigt bleiben. Es geht hier also keineswegs um eine Gesamtschau auf die Verhältnisse, sondern nur um einige, wenn auch wichtige Ausschnitte. Behaltet dies bitte beim Lesen im Hinterkopf!
1. Von Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Es gibt weder eine einheitliche Gruppe von Flüchtlingen noch von weißen Deutschen. Vielen Unterscheidungen, die es innerhalb dieser beiden Gruppen gibt, wird man damit nicht gerecht. Gleichwohl bestehen zwischen Flüchtlingen auf der einen und weißen Deutschen auf der anderen Seite äusserst gravierende Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen sozialen Realitäten und der tagtäglichen Lebensbedingungen. Das Leben von Flüchtlingen ist jeden Tag aufs neue bestimmt von Grenzen: sich nicht frei bewegen zu können, sich gegebenenfalls verstecken zu müssen, keinen freien Zugang zu Lebensmitteln zu haben, geschweige denn zum Arbeits- und Wohnungsmarkt oder zum Bildungssystem. Demgegenüber können weiße Deutsche frei reisen, ihren Wohnungsort wechseln, haben freien Zugang zu Lebensmitteln, zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, oder zum Bildungssystem.
Auch auf das Grenzcamp bezogen lassen sich diese unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten wiederfinden: Weiße Deutsche können für sich überlegen, ob sie sich persönlich nicht zu viel zumuten oder ob das Grenzcamp in ihre Arbeits- und Ferienplanung paßt. Demgegenüber bedeutet für Flüchtlinge aus den Heimen ein Tag Grenzcamp ein Tag Abzug der Geldmitte oder gegebenenfalls Verstoß gegen die Residenzpflicht. Das aber heisst: Arbeiten Flüchtlinge und deutsche Weisse trotz unterschiedlicher sozialer Ausgangsbedingungen politisch zusammen, dann ist dies ein komplizierter Prozess. Er birgt alles: Risiken, Zweischneidigkeiten und Chancen. Richtig unübersichtlich wird’s jedoch erst, wenn auch noch andere Herrschaftsverhältnisse wie Sexismus oder Klassenherrschaft miteinbezogen werden. Denn dann ergeben sich noch komplexere Überschneidungen, d.h. weitere bzw. andere Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den ‚Angehörigen‘ der jeweiligen Gruppen.
2. Von Unterstützung und/oder Solidarität
Weiße Deutsche und Flüchtlinge kämpfen beiderseits gegen Rassismus und Ausgrenzung. Für viele Flüchtlinge ist es deshalb auf den letzten Camps eine bittere Erfahrung gewesen, daß auch dort rassistische Trennungen, wie sie sonst in der Gesellschaft existieren, anzutreffen waren. Weiße Deutsche zelten getrennt, essen getrennt, agieren getrennt – so der Vorwurf vieler Flüchtlinge. Die Diskussionen im Vorfeld des Grenzcamps haben dann ergeben, dass es unterschiedlichste Zuschreibungen gibt, die häufig auf den Vorwurf hinauslaufen, sich jeweils zu instrumentalisieren. Einerseits kommt aus den Reihen von Flüchtlingen der Verdacht, weiße Deutsche sehen in ihnen nur eine Quelle, aus der sie Informationen über rassistische Zustände schöpfen können. Demgegenüber haben einige weiße Deutsche den Eindruck, dass sie für Flüchtlinge nur dann interessant sind, wenn sie deren Kampagnen unterstützen. Weiße Deutsche sehen sich mitunter in die TäterInnenrolle gedrängt, die die Schuld von über 500 Jahren Kolonialismus abzutragen haben. Flüchtlinge wiederum kommen sich dazu benutzt vor, Alibiunterdrückte in weißen deutschen Zusammenhängen zu sein.
3. Von Enttäuschungen
Der Kampf gegen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus bildet den gemeinsamen Ausgangspunkt für Flüchtlinge und weiße Deutsche. Die Gruppen kommen jedoch, wie gesagt, aus unterschiedlichen sozialen Realitäten. Vor diesem Hintergrund wurden im Vorfeld des Camps Unsicherheiten und Unklarheiten benannt, was die Motivationen der jeweils anderen Gruppe betrifft. Unsicherheiten und Unklarheiten, die immer wieder zu Enttäuschungen geführt haben. Für einige Flüchtlinge besteht Ungewißheit deshalb, weil weiße Deutsche ihre antirassistische Motivation jederzeit ablegen können, um sich dem Privatleben, dem Geldverdienen oder anderen Politikfeldern zuzuwenden. Demgegenüber urteilen einige weiße Deutsche von ihrem Standpunkt aus, dass einige der Flüchtlinge nur solange an antirassistischer Arbeit interessiert sind, bis ihr eigener Status gesichert ist und sie sich danach in’s sog. Normal-Leben einfinden können.
4. Von Rassismus und Sexismus
Die Frage, in welchem Verhältnis Rassismus und Sexismus stehen bzw. Anti-Rassismus und Anti-Sexismus, begleitet die Grenzcamp-Community seit ihren frühesten Anfängen. Besonders zugespitzt wurde die Frage auf dem 3. Grenzcamp in Forst verhandelt. Damals wurde The Voice von einer Weimarer Gruppe aufgefordert, zu einem sexistischen Übergriff Stellung zu beziehen, der von einem von The Voice mobilisierten Mann auf einem Antifa-Camp in Weimar begangen wurde. Art und Ausrichtung dieser Aufforderung wurden seinerzeit von vielen zurückgewiesen, würde sie doch den Eindruck erwecken, als ob sog. ’schwarze‘ Männer durchschnittlich sexistischer wären als sog. ‚weisse‘ Männer. Stattdessen wurde in einer gemeinsamen Erklärung hervorgehoben, dass Rassismus und Sexismus eng ineinander verschränkt seien und deshalb nur zusammen bekämpft werden könnten. Was das konkret heisst, ist jedoch immer wieder umstritten – nicht nur in Grenzcampzusammenhängen: Während insbesondere deutsch-weiss dominierte Zusammenhänge die kritische Auseinandersetzung mit Sexismus immer wieder zur Voraussetzung für ihre Mitarbeit in antirassistischen Bündnissen erklären, wird dies seitens politisch organisierter Flüchtlinge und MigrantInnen stets zurückgewiesen. Wechselseitiges Verständnis könne nicht erzwungen, sondern nur in konkreter Zusammenarbeit hergesellt werden – und das gelte in beide Richtungen!
Aber auch ansonsten wirkt der Konflikt vom 3. Grenzcamp nach: So berichteten auf dem letztjährigen Abschlussplenum in Frankfurt mehrere männliche Flüchtlinge, dass sie sich überhaupt nicht getraut hätten, sog. ‚weisse‘ Frauen anzusprechen – in der Angst, sich hierdurch Sexismusvorwürfe einzuhandeln.
5. Von Grenzziehungen
Auch auf diesem Camp gibt es für FrauenLesben und Transgender-Leute die Möglichkeit, in vom Rest des Camps getrennten Bereichen zu zelten, wenn sie das möchten. Dieser Bereich ist für Männer gesperrt. Die Absperrung markiert im Verständnis einiger weißer Deutscher aus der Vorbereitungsgruppe einen Rückzugsort und einen Schutzraum vor Übergriffen durch Männer (ganz gleich welche). Bei einigen Flüchtlingen traf dies schon beim Camp im letzten Jahr auf Unverständnis. Sie lehnen eine Grenze auf einem no border-camp ab. Was für die einen eine über die Jahre erkämpfte Errungenschaft ist, über die auch nur zu diskutieren für viele einen Rückschritt bedeutet, das ist für die anderen politisch falsch.
6. Von Identitäten
Wie gesagt: Weder weiße Deutsche noch Flüchtlinge, noch die vielen anderen, hier nicht genannten Gruppen sind jeweils homogen. Trotzdem ist es immer wieder wichtig gewesen, im Blick zu behalten, dass es Unterschiede gibt. Diese Unterschiede bestehen zum Beispiel bezüglich sozialer Bedingungen, unter denen die einzelnen leben sowie die hiermit verknüpften Prioritätensetzungen, die unterschiedliche Diskussionshintergründe, die Verschiedenheiten bei Kampagnen, die Organisationsformen und Aktionen. Für viele Menschen gibt es politische Gründe, sich entlang von Identitäten zu organisieren, um erstmal unter sich Klarheit über ihre Position innerhalb der jeweiligen Unterdrückungsmechanismen gewinnen und somit entsprechende Kämpfe entwickeln zu können. Trotzdem sehen es auch viele als politische Notwendigkeit, sich mit anderen auf gemeinsame Ziele zu verständigen und für deren Verwirklichung zu kämpfen. Die Grundvoraussetzung dafür sind wechselseitiges Interesse und Offenheit. Letztlich geht es um die Frage, ob Identität als eine feste Größe gedacht wird, die am Ende eines Entwicklungsprozesses steht und nun auch so bleiben soll, oder aber, ob Identität als ein flexibleres Konzept verstanden wird und sie sich durch neue Erfahrungen und Lernprozesse Stück für Stück und kontinuierlich verändern können soll.
Die Kommunikationsgruppe