Wenn jemand brennt, dann schreit er!“ Bis heute verhindern Polizei und Justiz eine Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 577 / 16.11.2012

Olaf Bernau: Vor 8 Jahren ist dein Freund Oury Jalloh ums Leben gekommen, was hat sich seitdem für dich verändert?

Mouctar: Bah: Als ich nach Dessau kam, habe ich mich vor allem mit meinem Telecafe beschäftigt, Politik hat kaum eine Rolle gespielt. Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass Menschen so grausam, so verbrecherisch, so kriminell sein können. Aber dann lagen all die Indizien auf den Tisch und ich habe gemerkt, dass es wirklich so schlimm ist. Weiße gegen einen Schwarzen. Früher habe ich meine Farbe nicht gesehen, doch plötzlich war klar, du lebst auf einem fremden Kontinent.

Wie haben die Proteste in Dessau begonnen?

Wir waren 45 Leute, fast nur Schwarze, ich war der einzige, der einen Aufenthalt hatte. Am Anfang hatten wir starke Zweifel, es gab viele Gerüchte. Wir sind zur Polizei gegangen, die haben aber sehr aggressiv reagiert. „Wenn ihr nicht weggeht, dann gibt es eine Anzeige!“ Weil sie eine Mauer gebaut haben und wir keine Informationen bekommen sollten, haben wir uns entschieden, auf die Straße zu gehen. Und das ist uns auch gelungen, ohne uns hätte es keinen Prozess gegeben. Gleichzeitig sind viele Leute, die mit mir auf der Straße waren, abgeschoben worden. Denn jede Demo wurde gefilmt, und einer nach dem anderen wurde abgeschoben. Ja, wir haben einen Stuhl nach dem anderen umgedreht, der kommt nicht mehr, wir wurden immer weniger.

Weiterlesen

In der Autoritäts- und Identitätsfalle. Stichworte zur Debatte um critical whiteness anlässlich des diesjährigen Nobordercamps in Köln

Phase 2, Herbst 2012 (44)

Vieles spricht dafür, mit einer kurzen Rückblende zu beginnen: 2003 zerbrach in Köln der 1998 gestartete Zyklus antirassistischer Grenzcamps an massiven Konflikten innerhalb des Vorbereitungskreises. Stein des Anstoßes war vor allem die Frage, inwiefern linker Antirassismus immer schon, zumindest von deutsch-weißer Seite aus, als gemischte bzw. transidentitäre Kooperation angegangen werden müsse – eine Forderung, die im Kontext der Grenzcamps vor allem gemischt ‚Flüchtlinge/Nicht-Flüchtlinge‘ bedeutete. Bei aller Konfliktualität entpuppten sich jedoch die damaligen Auseinandersetzungen als ausgesprochen produktiv, entsprechend sind in den Folgejahren zahlreiche transidentitäre Projekte wie zum Beispiel das überregionale Nolager-Netzwerk (2002-2007) oder seit 2009 die beiden transnational verankerten Netzwerke Welcome to Europe und Afrique-Europe-Interact entstanden. Unter Schlagworten wie „Hybridität“ oder „transidentitäre Organisierung“ kreisten die internen Debatten immer wieder um die Frage, wie egalitäre Zusammenarbeit unter mehr oder weniger ungleichen Ausgangsbedingungen überhaupt aussehen könnte. Als wichtiger Stichwortgeber fungierte dabei von Anfang an das ursprünglich aus den USA importierte critical whiteness-Konzept, wonach in der wissenschaftlichen, künstlerischen und politischen Auseinandersetzung mit Rassismus nicht nur die Entrechtung Schwarzer oder anderer von Rassismus Betroffener, sondern auch die Kritik an weißer Vorherrschaft und der damit verknüpften Privilegien eine zentrale Rolle spielen müsse.

Weiterlesen