Flucht- und migrationspolitische Kämpfe: Vom Kampf um gleiche Rechte zur Kritik an wachstumsbezogenen Ursachen von Flucht und Migration

Buchbeitrag: Konzeptwerk Neue Ökonomie & DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften (Hrsg.): Degrowth in Bewegung(en). 32 alternative Wege zur sozial-ökologischen Transformation. oekom-Verlag 2017

Vorbemerkung: Zu Beginn sollten die Autor*innen des Sammelbandes jeweils benennen, ob sie den Text allein oder mit anderen geschrieben haben – eine weitere Maxime des Buchprojektes lautete, dass alle Autor*innen die gleiche Textstruktur mit den gleichen Leitfragen einhalten sollten: „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ – der von Flüchtlingsselbstorganisationen geprägte Slogan verklammert auf pointierte Weise Flucht und Migration mit den komplexen Dynamiken globaler Ausbeutung und Zerstörung. Vor diesem Hintergrund bin ich mit meiner lokalen Gruppe NoLager Bremen in dem transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact aktiv, einem seit 2009 laufenden Organisierungsprozess zwischen afrikanischen und europäischen Basisinitiativen. Den Beitrag habe ich alleine verfasst, allerdings unter Rückgriff auf viele der im vorliegenden Text skizzierten Debatten und Organisierungserfahrungen – seit es mit Geflüchteten hierzulande, Abgeschobenen in Togo oder kleinbäuerlichen Aktivist_innen in Mali.

1. Im Zentrum der Kämpfe für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte steht der alltägliche Widerstand der Migrant_innen und Geflüchteten selbst

Als sich am 4. September 2015 mehrere tausend Menschen vom Budapester Hauptbahnhof zu Fuß auf den Weg Richtung Österreich machten, dämmerte es nicht nur Angela Merkel, sondern der europäischen Öffentlichkeit insgesamt: Es waren nicht Aktivist_innen, die sich in jenen Tagen anschickten, das Europäische Grenzregime buchstäblich aus den Angeln zu heben. Ausschlaggebend war vielmehr die massenhafte Aneignung des grundlegenden Rechts auf Bewegungsfreiheit durch ganz normale Menschen – junge wie alte, Kinder, Frauen und Männer, gläubige und nicht gläubige, gesunde und solche, die im Rollstuhl saßen. Diese ebenso simple wie grundlegende Feststellung verweist darauf, dass es die Migrant_innen und Geflüchteten selbst sind, die Deutschland, mithin Europa verändern – und zwar nicht erst seit dem vom politischen Mainstream irreführenderweise als „Flüchtlingskrise“ etikettierten Sommer der Migration 2015.

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