Camp-Glück auch im Jahr 2003. Trotz Differenzen soll es wieder ein gemeinsames Grenzcamp geben
ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 470 / 21.2.2003
Der sommerliche Camp-Marathon war vollbracht, ihm folgte der Marathon der Auswertungen – und mit ihm ein Aufschwung der Stimmung: Hatte noch im unmittelbaren Anschluss an die insgesamt vier Camps des vergangenen Jahres vielerorts Katzenjammer die Szenerie beherrscht (vgl. ak 465), so setzte sich mit zunehmendem Abstand ein differenzierteres Bild durch. Eine Entwicklung, die Voraussetzung dafür gewesen ist, dass sich auf einem gemeinsamen Nachbereitungstreffen im November die VertreterInnen dreier Camps – Strassbourg, Hamburg und Jena – darüber verständigt haben, ihr Camp-Glück auch im Jahr 2003 zu versuchen, diesmal wieder gemeinsam.
Dieses Ergebnis ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil ja die Existenz mehrerer, direkt aus dem antirassistischen Grenzcamp-Projekt hervorgegangener Camps ursprünglich das Ergebnis ziemlich handfester Auseinandersetzungen um eine angemessene Bestimmung von linkem bzw. linksradikalem Antirassismus gewesen ist. Das aber wirft die Frage auf, was aus besagten Auseinandersetzungen geworden ist, schließlich haben sich die hiermit verknüpften Differenzen alles andere als in Wohlgefallen aufgelöst.
Im Jahr 2000 entbrannte auf dem 3. Grenzcamp in Forst (Brandenburg) eine Debatte, welchen prinzipiellen, d.h. programmatischen Status „Sexismus“ auf dem Camp erhalten sollte. Einigen Leuten reichte es, sie riefen das „universal-kritische“ cross-over-project ins Leben, das im Januar 2002 die von über 600 Menschen besuchte cross-over-conference in Bremen organisierte und im Sommer 2002 das summercamp in Cottbus. Nach dem Frankfurter Grenzcamp im Jahr 2001 kam es zu weiteren Abgängen. Einige der bislang tragenden Kräfte machten sich auf, um das internationale no-border-camp in Strassbourg auf den Weg zu bringen. Auch dieser Schritt war von Auseinandersetzungen begleitet. Die Kritik lautete, dass die Strassbourg-Fraktion nur noch an einem technokratisch-erfolgsorientierten „Höher-Weiter-Besser“-Aktionismus interessiert wäre unter Vernachlässigung inhaltlicher Auseinandersetzungen.
Richtig geknallt (samt Spaltung) hat es aber erst einige Monate später, als im Zuge eines fragwürdigen Entscheidungsprozesses das ursprünglich von der Flüchtlingsselbstorganisation The Voice ins Spiel gebrachte Jena zum „Austragungsort“ für das 5. Grenzcamp erkoren wurde. Die damals auf den Punkt gebrachten Differenzen in Sachen Antirassismus markieren auch heute noch den Riss, der die Grenzcamp-Community politisch durchzieht.
Der Jena-Flügel machte für seine Positionierung ein spezifisches Rassismus-Verständnis geltend: Danach sei Rassismus ein komplexes (und mit anderen Herrschaftsverhältnissen verschränktes) System fein abgestufter Ein- und Ausschlussmechanismen, das auf Trennung, Entrechtung und Hierarchisierung abziele. Die Auswirkungen solcher rassistisch strukturierten Ein- und Ausschlüsse seien auch auf dem antirassistischen Feld spürbar: Eine Zusammenarbeit zwischen MigrantInnen, Flüchtlingen, (weißen) Deutschen, etc. fände kaum statt, so wie ja auch der Grenzcamp-Zusammenhang ein mehrheitlich deutsch dominierter wäre. Angesagt sei deshalb, die rassistisch produzierten Trennungen zu durchbrechen, vor allem müsste seitens der deutschen AktivistInnen eine (klarere) Bezugnahme auf die oftmals alltäglichen Kämpfe der Flüchtlinge und MigrantInnen erfolgen. Diese Bezugnahme dürfte weder karitativ noch paternalistisch daherkommen, vielmehr müssten die durch Rassismus und unterschiedliche Erfahrungshorizonte geschaffenen Differenzen (hinsichtlich politischer Strategien, identitärer Selbstverständnisse etc.) thematisiert und gegebenenfalls ausdiskutiert werden. Langfristig ginge es um die Herausbildung eines gemeinsamen, wenn auch stets gebrochenen sowie flüssig gehaltenen WIR, die Rede war gar von (trans-identitärer) Hybridisierung. Dieser Programmatik wurde seitens der Hamburg-BefürworterInnen vehement widersprochen: Die Konzentration auf die Kämpfe der Flüchtlinge (und MigrantInnen) leiste einem flüchtlingspolitisch verkürzten Antirassismus Vorschub. Der Blick fürs Ganze ginge verloren, im Mittelpunkt stünden stattdessen die unbestreitbar katastrophalen Lebensbedingungen (vor allem) von Flüchtlingen. Überdies sei es auch falsch, die Schaffung eines gemeinsamen WIR zum politisch programmatischen Ziel zu erheben. Denn worauf es beim gemeinsamen Politik-Machen ankomme, sei einzig, ob gemeinsame Interessen vorlägen. Eine solche Gleichgerichtetheit der Interessen hätte aber nur wenig mit den Hintergründen, Identitäten, etc. der jeweils Beteiligten zu tun. In diesem Sinne laufe eine Politik, die auf einer gemeinsamen (und sei es trans-identitären) Grundlage aufbauen wolle, Gefahr, sich früher oder später in partikularen Selbstbezogenheiten zu verrennen und so die rassistischen Verhältnisse im gesellschaftlichen „Außen“ aus den Augen zu verlieren.
Hintergrund der vom Hamburg-Flügel immer wieder stark gemachten Notwendigkeit einer Gleichgerichtetheit der Interessen ist im übrigen ein gegenüber The Voice gehegter Vorbehalt: Danach betreibe The Voice eine instrumentelle, lediglich an der Durchsetzung eigener Kampagnenziele orientierte Interessenpolitik; das aber unterhöhle die Idee einer weiterreichenden Kooperation. Insgesamt resultierte hieraus das Hamburger Land-in-Sicht-Camp, das zwar auch einen antirassistischen Focus hatte, gleichzeitig jedoch unter dem Schlagwort der „autoritären Formierung“ (exemplifiziert im Schillschen Rechtspopulismus) den Brückenschlag zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen versuchte.
Eine Wiederannäherung, zumindest ein Aufeinanderzugehen der verschiedenen Fraktionen war auf dem bereits erwähnten Nachbereitungstreffen im November 2002 zu verzeichnen, an dem AktivistInnen aller vier der ehemals aus dem Grenzcamp-Projekt hervorgegangenen Camps beteiligt waren. Auf diesem Treffen wurden zum einen allgemeine Fragen verhandelt wie z.B. campinterne Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, zum anderen wurde einmal mehr kontrovers der Hamburg-Jena-Konflikt verhandelt, diesmal ausgehend von dem Statement des Jena-Flügels, wonach hinter Jena nicht zurückgegangen werden dürfte, d.h. wonach die in Jena begonnene intensivierte Kooperation zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen unbedingt fortzuführen wäre. Die Brisanz des Themas wurde nicht zuletzt an der Position eines Vertreters von The Voice deutlich: Seines Erachtens steckten in der Behauptung, dass die Flüchtlingskämpfe (in aller Regel) verkürzten Antirassismus implizierten und dass außerdem – pointiert gesprochen – The Voice im Rahmen seiner Bündnispolitik an vor allem willenlosen WasserträgerInnen interessiert wäre, absolut problematische Bilder über (politisch organisierte) Flüchtlinge, zumindest aber wären solche Behauptungen geeignet, die Kämpfe der Flüchtlinge massiv zu torpedieren.
Und doch: Allen Differenzen zum Trotz, das Treffen erklärte zugleich (mit Ausnahme des ohnehin stark dezimierten cross-over-Zusammenhangs) seinen Willen, zukünftig wieder gemeinsam zu arbeiten. Einerseits weil – das hätte die vergangene Campsaison gezeigt – weder von TeilnehmerInnen- noch von OrganisatorInnen-Seite aus wirklich die Kapazitäten für derart viele Camps bestünden, andererseits weil die politische Heterogenität, wie sie durch die vier Camps verkörpert würde, eine politisch bedeutsame Qualität darstellte.
Es wurde vereinbart, auf einem weiteren Treffen im Januar Ort, Motto und Zuschnitt des gemeinsamen Camps 2003 zu bestimmen. Es kam, wie es kommen musste: In Gestalt zweier fast schon gegenläufiger Ortsvorschläge verschafften sich die bekannten Differenzen (samt ihrer Lager) einmal mehr Geltung: Größere Teile des Hamburg-Flügels hatten die Mecklenburg-Vorpommersche Provinz als Ort für ein gemeinsames Camp 2003 ausersehen. Dort sollte dem rechten, geradezu hegemonialen Mainstream innerhalb der Mehrheitsbevölkerung entgegengetreten werden – jenseits von zivilgesellschaftlicher Entwicklungshilfe oder anti-deutschem Strafkommando. Insbesondere sollte den wenigen der überhaupt dort lebenden Linken (sowie MigrantInnen und Flüchtlingen) für zehn Tage die Erfahrung einer anderen Realität ermöglicht und so der Boden für einen (langfristigen) Stimmungsumschwung (mit-)vorbereitet werden.
Demgegenüber hatten sich größere Teile des Jena-Flügels auf Nürnberg verständigt. Zum einen ob des dort bereits angelaufenen und sich obendrein großer Publizität erfreuenden Kampfes gegen das Ausreisezentrum in Nürnberg-Fürth – eine Bezugnahme, die nicht nur im Kontext der im November 2002 begonnen Kampagne gegen Abschiebungen, Abschiebeknäste und Abschiebelager (vgl. ak 467)), sondern auch im Kontext weltweiter Anti-Lager-Proteste zu verstehen wäre. Andererseits ob der staatlich-institutionellen Kulisse: Mit der Bundesanstalt für Arbeit und dem Bundesamt für Migration sind in Nürnberg zwei Institutionen angesiedelt, auf die mehrere der derzeit zirkulierenden antirassistischen Praxis-Ansätze (symbolisch) bezogen werden könnten, u.a. die das globale Migrationsmanagement attackierende Anti-IOM-Kampagne des internationalen no-border-netzwerkes sowie das von Gruppen wie kanak attak schon seit längerem betriebene Projekt, insbesondere das Feld der Arbeit – Stichwort: migrantische (Arbeits-)Kämpfe – auf die antirassistische Agenda zu setzen.
Einzig, keiner der beiden Ortsvorschläge wusste zu überzeugen: Mecklenburg Vorpommern – so die KritikerInnen – böte weder schlüssige Anknüpfungspunkte für das in Jena Begonnene, und auch bestünden keine Brückenschläge zu der auf dem Frankfurter Camp im Zuge der damals aktuellen Zuwanderungsdebatte begonnenen Diskussion um Themen wie „Autonomie der Migration“, „Globales Migrationsregime“ etc.. Stattdessen stünden im Kern Konfrontationen mit der dortigen Mehrheitsbevölkerung ins Haus und somit ein linksradikales, stark auf sich selbst bezogenes Bewegungscamp. Im Gegenzug wurde der für Nürnberg stark gemachte Bezug auf das Ausreisezentrum einmal mehr als „antirassistisch verkürzt“ und obendrein „anti-visionär“ gebrandmarkt, so wie auch die anderen für Nürnberg ins Feld geführten Themenstränge vor allem der Praxis einer antirassistischen Expertokratie entstammten, die zuvörderst das Ziel verfolgte, möglichst viele KampagnensoldatInnen an den von ihr jeweils ausgewählten Orten zu versammeln (mensch beachte die alles andere als zufällige Parallele zu den bereits zitierten Anwürfen gegen „die“ StrassbourgerInnen sowie The Voice).
Kurz, ein Kompromiss musste her – und mit dem von zwei Einzelpersonen sehr kurzfristig lancierten Vorschlag „Köln (plus Düsseldorf)“ war ein solcher auch schnell gefunden. Aus der Region selbst hatte es zwar keine entsprechenden Vorstöße gegeben (was allgemein als großes Manko benannt wurde), allein, Köln bietet eine Vielzahl möglicher Anknüpfungspunkte für ein Camp mit antirassistischem Focus. Zudem ist Köln ein geeigneter Ort für die dreitägige Auftaktkonferenz, mit der das diesmalige Grenzcamp eröffnet werden soll. Gleichwohl muss die Bewertung des Köln-Beschlusses wohl notwendigerweise ambivalent ausfallen. Zum einen artikuliert sich in ihm der politisch begründete Wille, einem ungewöhnlich verbindlichen, absolut heterogenen sowie bundesweit organisierten Groß-Zusammenhang die Stange zu halten, ja, ihn inhaltlich weiterzuentwickeln. Ein derartiger Wille ist eher selten und in seiner politischen Tragweite kaum zu überschätzen. Umgekehrt jedoch ist der Kompromiss (tendenziell) auf Kosten der am Grenzcamp beteiligten Flüchtlinge zu Stande gekommen. Für sie hatte die von ihnen selbst mitgetragene Kampagne u.a. gegen das Ausreisezentrum Nürnberg-Fürth Priorität, was auch der Grund dafür ist, dass derzeit größere Teile des Jena-Flügels darüber nachdenken, noch dieses Jahr ein (zusätzliches) Aktionswochenende in Nürnberg auf die Beine zu stellen.
Olaf Bernau – alias Gregor Samsa