Antirassismus neu buchstabiert. kein mensch ist illegal lädt ein zur Diskussion

ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 471 / 21.3.2003

Die fetten Jahre sind vorbei. Das 1997 gegründete antirassistische Netzwerk kein mensch ist illegal hat viel seiner anfänglichen Dynamik eingebüßt. Ein öffentliches, von kein mensch ist illegal veranstaltetes forum antirassistischer initiativen vom 9.-11. Mai in Hannover soll für frischen Wind sorgen.

Vorausgegangen war ein Debatte darüber, ob und wie es mit kein mensch ist illegal überhaupt weitergehen sollte. Anfänglich war kein mensch ist illegal ein vielerorts verankertes Netzwerk überwiegend lokal arbeitender Gruppen, einschließlich bundesweiter, stets großer Treffen, aus denen immer wieder neue Projekte und Kampagnen hervorgegangen sind – erwähnt seien nur die Grenzcamps, die deportation.class-Kampagne und nicht wenige der Medizinischen Flüchtlingshilfen. Heute ist hingegen vieles kleiner und beschaulicher geworden. Insbesondere die bundesweiten Treffen seien, so einige der internen KritikerInnen auf einem Treffen Mitte Oktober in Hamburg, zu harmlosen Klassentreffen mutiert.

Kontrovers diskutiert würde nur noch selten; auch Impulse würden nach außen kaum noch gesetzt, und das nicht zuletzt mangels klarer und gemeinsamer Positionen. Diese Kritik wurde mehrheitlich geteilt, einzig, sie erfordere es nicht – wie auf dem Hamburger Treffen verschiedentlich nahe gelegt, kein mensch ist illegal aufzulösen und sodann unter neuem Namen sowie programmatisch-personell neu ausgerichtet wiederzugründen. Das nämlich käme einer unnötigen Selbstschwächung gleich, immerhin seien die bundesweiten Treffen regelmäßig von 30-50 AktivistInnen besucht, und auch sei kein mensch ist illegal für viele Gruppen – selbst solche, die nicht auf bundesweiten Treffen auftauchten – wichtiger Bezugspunkt, ob als Logo, d.h. gemeinsame Klammer in antirassistischen Auseinandersetzungen, oder aber als politisch-programmatische Plattform.

Differenzen hin oder her, die in Hamburg Versammelten verständigten sich schließlich darauf, mit einem forum antirassistischer initiativen die Offensive zu suchen, d.h. die (Wieder-)Erlangung politischer Interventionsfähigkeit voranzutreiben. Denn so sehr kein mensch ist illegal „die richtige Parole war und ist“, wie es in der Einladung zum forum heißt, habe es das Netzwerk kein mensch ist illegal in den vergangenen Jahren nicht vermocht (im Unterschied zur antirassistischen Linken in anderen europäischen Ländern und den USA), „eine soziale und politische Praxis zu begründen, die den gegenwärtigen Zustand wirklich angreift und seine Aufhebung verlangt“.

Konkret verfolgt das forum zwei Zielsetzungen: Erstens soll kein mensch ist illegal für neue BündnispartnerInnen geöffnet werden: Die Rede ist von (Anti-) GlobalisierungsaktivistInnen und linken GewerkschafterInnen, sowie von selbstorganisierten Flüchtlingen und migrantischen Netzwerken – z.B. The Voice, kanak attak, die Interessenvertretung migrantischer Hausarbeiterinnen respect oder der Polnische Sozialrat. Zweitens sollen die diversen, innerhalb und außerhalb von kein mensch ist illegal immer wieder unternommenen Anstrengungen stärker zur Geltung gebracht werden, den Gesamtkomplex Migration und das damit verknüpfte Ziel einer Re-Ökonomisierung von Antirassismus zu thematisieren. Das Schlagwort der Re-Ökonomisierung zielt ab auf dreierlei:

a) Die komplexen Peripherie-Zentrums-Beziehungen: Sie geben die sowohl sozio-ökonomischen als auch sozialen Rahmenbedingungen ab, innerhalb derer internationale Migration erfolgt. Der Begriff der Autonomie der Migration ist in diesem Zusammenhang zentral: Er besagt, dass zwar die meisten MigrantInnen vergleichsweise prekäre Existenzbedingungen hinter sich lassen, dass die Migrationsentscheidung selbst jedoch eine relativ selbstbestimmte ist, in ihr spiegeln sich unterschiedlichste Interessenlagen wieder, nicht zuletzt das Interesse, am globalen, allerdings ungleich verteilten Reichtum zu partizipieren.

b) Die Techniken des globalen Migrationsregimes: Sie sind die Antwort auf die zumeist autonom erfolgende Migration, mittels ihrer versuchen die reichen Industrieländer die globalen Flucht- und Migrationsbewegungen unter Kontrolle zu bringen, diese also – je nach (ökonomischem) Interesse – zu verhindern bzw. rückgängig zu machen oder jedoch nutzbringend zu kanalisieren.

c) Die soziale Situation in den Zielländern: Ob MigrantInnen oder Flüchtlinge, sie alle sind darauf angewiesen, selber für ihre materielle Reproduktion aufzukommen – ganz oder teilweise. Auf den rassistisch strukturierten Arbeitsmärkten landen sie zumeist im so genannten informellen Sektor, sind also mit ausgesprochen miesen Einkommens-, Versicherungs- und Arbeitsbedingungen konfrontiert.

Kurzum: Die ursprünglich – etwa Anfang der 90er Jahre – aus der Defensive geborene Konzentration von (linkem) Antirassismus auf Antiabschiebekämpfe und so genannte Flüchtlingsunterstützungsarbeit ist zwar historisch notwendig gewesen, und auch besteht nicht der geringste Anlass, dieses Standbein aufzugeben; einzig, es darf nicht auf Kosten des Gesamtkomplexes Migration gehen. Denn Flucht und Migration sind alles andere als trennscharf. Das gilt für die unterschiedlichen Flucht- und Migrationsmotive (einschließlich globaler Rahmenbedingungen) genauso wie für die zahlreichen Techniken des aktuell herrschenden Migrationsregimes.

Auf dem Forum soll all dies zweigleisig umgesetzt werden: Zum einen wird es drei thematische Arbeitsgruppen geben, die sowohl das programmatische Selbstverständnis als auch die derzeitige Praxis der rund um kein mensch ist illegal vernetzten Gruppen bzw. AktivistInnen widerspiegeln sollen. Zum anderen ist geplant, die verschiedenen Thematiken immer wieder zusammenzuführen, so auch beim Auftakt Freitag Abend. Konkreteres steht diesbezüglich noch nicht fest, allerdings für die drei Arbeitsgruppen.

1. „Internationalismus, Migrationsregime und Combat IOM-Campaign“: Aufhänger dieser Arbeitsgruppe ist die gegen die International Organisation of Migration (IOM) gerichtete Anti-IOM-Kampagne des internationalen noborder-netzwerkes. Die 1951 gegründete IOM hat 91 Mitgliedsstaaten, Hauptsitz ist Genf. Als eine Art inter-gouvermentale Organisation ist sie ausschließlich ihren Mitgliedern rechenschaftspflichtig, insbesondere den reichen Industrieländern, welche durch freiwillige Zuwendungen und Patenschaften die Arbeit der IOM finanzieren. Zentraler Auftrag ist – Stichwort Autonomie der Migration – die Kontrolle globaler Flucht- und Migrationsbewegungen, darin ist sie Institutionen wie der (v.a. warenbezogenen) WTO vergleichbar.

Die IOM unterhält einerseits weltweit Büros zur Ausspähung von Migrationsbewegungen, betreibt gefängnisartige Flüchtlings(abfang)lager, unterstützt Regierungen bei der Aufrüstung ihrer Grenzregime, und ist auch an der sog. freiwilligen Rückführung von MigrantInnen und Flüchtlingen beteiligt – allein im Jahr 2000 76.000 IOM-vermittelte Rückführungen aus der BRD. Andererseits ist die IOM in die Rekrutierung von Arbeitskräften involviert, z.B. aus asiatischen Ländern für den finnländischen Arbeitsmarkt.

Dies zeigt, die IOM verkörpert (als einer von vielen Akteuren) die Janusgesichtigkeit des globalen Migrationsregimes perfekt: Auseinanderdividierung der MigrantInnen – gemäß (ökonomischer) Nützlichkeitskalküle – in erwünschte wie unerwünschte. In der Arbeitsgruppe soll das und anderes zur Sprache kommen, es sollen aber auch die nächsten Kampagnenschritte geplant und diskutiert werden, u.a. die Frage, ob und wie die zum Teil auf Missverständnissen und Desinformation basierende Kooperationsbereitschaft vieler NGO mit der IOM politisch aufgeknackt werden kann. Besonderes Gewicht wird insgesamt auf internationaler Vernetzung liegen – nebst Brückenschlägen zur sog. Anti-Globalisierungsbewegung.

2. „Politische Ökonomisierung des Antirassismus“: Lohnbetrug und die Frage, wie dagegen politisch und juristisch angegangen werden kann, ist praktischer Aufhänger dieser Arbeitsgruppe. Hintergrund ist, dass (irregulär beschäftigte) MigrantInnen und Flüchtlinge, vor allem solche ohne Arbeits- und/oder Aufenthaltserlaubnis, immer wieder mit Lohnbetrug konfrontiert sind. Das geht so weit, dass Arbeitgeber kurz vor Lohnauszahlung Razzien durch anonyme Selbstanzeige provozieren, um auf diese Weise satte Extraprofite zu erzielen, denn die Summe der so eingehaltenen Löhne, die Angestellten werden gemeinhin direkt in Abschiebehaft genommen, übersteigt die anschließende Geldbuße für irreguläre Beschäftigung bei weitem.

Solchen und anderen, soziale (Mindest-) Standards unterhöhlenden Räubereien ist nur schwer beizukommen, sei es, weil die Betroffenen bereits abgeschoben sind oder aber Angst haben, dass sie bei einer von ihnen selbst angestrengten Lohnklage Gefahr laufen (im Zuge von Statusfeststellung) Abschiebung oder andere Repressalien zu erfahren. Und doch: In den letzten Jahren konnten zahlreiche, z.T. vielversprechende Erfolge auf diesem Feld errungen werden. Ein Erfahrungsaustausch soll erste Klarheit schaffen, ein Blick u.a. zu den immer wieder erfolgreichen Streiks migrantischer PutzarbeiterInnen in den USA für weitere Inspiration sorgen. In der Arbeitsgruppe soll’s aber auch um anderes gehen, neben Theoretischem zur Entwicklung des informellen Sektors im Kontext postfordistischer Umstrukturierungsprozesse insbesondere um die Frage, was mensch sich von Anti-Lohnbetrugs- und verwandten Projekten überhaupt erhofft: Geht’s um praktische Solidarität oder mehr? Ist massenhafte Migration „lediglich“ individuelle Überlebensstrategie oder handelt es sich, wie es die (post-)operaistisch motivierte Lesart des Autonomie der Migration-Konzeptes will, um eine soziale Bewegung mit politischem Widerstandspotenzial?

3. „Abschiebelager, Abschiebeknäste, Abschiebung (3-A-Kampagne)“: Der Titel sagt es bereits, diese Arbeitsgruppe nimmt ihren Ausgang von dem, was herkömmlicher Weise zum Kerngeschäft von Antirassismus zählt. Allein, es existieren zahlreiche Überschneidungen zu Thematiken der anderen Arbeitsgruppen, schließlich ist auch das Lagersystem eine Facette innerhalb des zunehmend globalisierten Migrationsregimes, gerichtet insbesondere gegen Unerwünschte (Stichwort: Segregation). Herrschaftsintensivierende Innovationsbestrebungen sind im Lagersystem auf allen Ebenen beobachtbar: So hat Australien begonnen, abgefangene Boat People unter geradezu unglaublichen Bedingungen auf der Pazifikinsel Nauru zu internieren, in zwei von der IOM (sic) betriebenen Lagern. Und auch Großbritannien hat jüngst vorgeschlagen, Flüchtlinge rund um den Globus in EU-finanzierten und von der UN verwalteten Lagern unterzubringen, etwaige Asylanträge müssten sodann – nach einer Sperrfrist von sechs Monaten – in diesen, nahe der jeweiligen Kriegs- und Krisenregionen errichteten Lagern gestellt werden. In der BRD lassen sich solcherart Tendenzen u.a. an dem Bestreben festmachen, Flüchtlinge während des gesamten Asylverfahrens in Lagern unterzubringen, um so die schlussendliche Abschiebung zu erleichtern. Hamburg schlägt gar eine Art Kombilösung aus Ein- und Ausreisezentrum vor.

Eine andere Ebene ist der Widerstand: Ob durch Flucht in die Illegalität, Revolten oder Hungerstreiks, ob durch Selbstverletzungen oder Suizid(-versuche), überall auf der Welt wehren sich Flüchtlinge gegen die demütigenden und mitunter nicht aushaltbaren Lagerbedingungen. Über das und anderes – sowie darüber, wie es mit weiterem zusammenhängt, u.a. den zahlreichen Bleiberechtskämpfen außerhalb der Lager, soll in dieser Arbeitsgruppe diskutiert werden.

Olaf Bernau – alias Gregor Samsa

Für das forum antirassistischer initiativen sind Anmeldungen erwünscht. Kontakt: Kooperative Flüchtlingssolidarität, Zur Bettfedernfabrik 3, 30451 Hannover, E-Mail: kfshannover@gmx.de