Vielfach gespalten. Togos Gesellschaft im Spiegel der jüngeren Geschichte

Beilage des NoLager-Netzwerks in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (6. April 2006)

1960 erlangte die französische Kolonie Togo ihre Unabhängigkeit. Bereits drei Jahre später wurde Sylvanus Olympio, der erste demokratisch gewählte Präsident, während eines Putsches ermordet. Es soll General Gnassingbé Eyadéma gewesen sein, der die Schüsse abgegeben hat. Vier Jahre später übernahm Eyadéma selbst die Macht und errichtete eine ebenso skrupellose wie äußerst gewalttätige Militärdiktatur. Anfang der 1990er Jahre sah er sich unter dem Druck einer erstarkenden Demokratiebewegung erstmals zu Zugeständnissen gezwungen: Das Einparteiensystem wurde abgeschafft, freie Wahlen ausgerufen und eine neue Verfassung per Referendum verabschiedet. Eyadéma war jedoch nicht bereit, die Macht wirklich abzugeben. Er provozierte vielmehr Auseinandersetzungen und beendete das demokratische Experiment auf brachiale Weise; dem konnte noch nicht einmal ein neunmonatiger Generalstreik etwas entgegensetzen. Sämtliche der seit 1993 durchgeführten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind reine Alibiveranstaltungen gewesen, begleitet von immer neuen Gewaltexzessen der Sicherheitskräfte, meist mit Hunderten von Toten.

Als Eyadéma im Februar 2005 starb, erkoren Militär, Parlament und Verfassungsgericht dessen Sohn Faure Gnassingbé in einer Nacht- und Nebelaktion zum neuen Staatspräsidenten. Erst auf massiven internationalen Druck hin trat dieser zurück und machte somit den Weg für Neuwahlen frei. Wie befürchtet entpuppte sich Faure Gnassingbé als Wiedergänger seines Vaters: Auch die jüngsten Wahlen sind durch Manipulationen fast schon orwell‘schen Ausmaßes auf den Kopf gestellt worden, der anschließende Terror von Militär, Polizei und Milizen hat sämtliche der bis dahin bekannten Gewaltexzesse in den Schatten gestellt.

Es greift zu kurz, die Herrschaft des Eyadéma-Clans einzig auf Terror, Wahlbetrug und systematische Verfolgung der Opposition zurückzuführen. Zu beachten sind auch weitere Facetten des Regimes, z.B. Personenkult, Klientelismus und Kollaboration. Seit seiner Machtübernahme hatte es Eyadéma verstanden, durch gezielte Ethnopolitik eine eigene Hausmacht aufzubauen: Zugang zu den Sicherheitskräften – insbesondere zu den höheren Rängen – haben bis heute vorrangig Angehörige seiner eigenen (ethnischen) Herkunftsgruppe, den überwiegend im Norden Togos lebenden Kabyé. Gleiches gilt auch für die Besetzung öffentlicher Stellen, nicht nur in Justiz und Politik, sondern auch in den großen staatlichen Unternehmen oder im diplomatischen Corps. Viele der hochrangigen Stelleninhaber(innen) stammen sogar aus Eyadémas Geburtsort Pya, das gilt natürlich auch für führende Mitglieder der Regierungspartei RPT. Legitimiert wird diese ethnisch bzw. lokalpatriotisch fundierte Rekrutierungspraxis mit einem eher bizzar anmutenden Schöpfungsmythos. Danach seien die Kabyè die ‚echten’ TogoerInnen, im Unterschied zu den ‚falschen’ TogoerInnen, die vor allem im Süden leben würden. Ihnen käme folglich das natürliche Recht zu, Togo zu regieren, also auch den Präsidenten zu stellen, eine Legende, die Eyadéma gekonnt für seinen immer wieder ins Groteske ausgeuferten Personenkult zu instrumentalisieren wusste.

Heute ist Togo eine vielfach gespaltene Gesellschaft: Die Hochburgen der Opposition (in der nicht zuletzt die Kirchen eine tragende Rolle haben) liegen im Süden, insbesondere in der Hauptstadt Lomé. Demgegenüber ist die politische, wirtschaftliche und militärische Macht in den Händen weniger, vor allem aus dem Norden stammender Familien konzentriert. Die Masse der Bevölkerung ist indessen bitter arm. Sie muss den Preis für die hemmungslose Ausplünderung der Staatsfinanzen durch die herrschenden Eliten, insbesondere den Eyadéma-Clan zahlen: Ein Drittel der Menschen lebt unter der Armutsgrenze, die Analphabetenrate liegt bei 45%. Nur 60% haben überhaupt Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, Wasser ist absolutes Mangelgut.

Ebenfalls nicht unerwähnt sollte bleiben, dass die togoische Diktatur stets auch von außen Unterstützung erfahren hat – Stichwort: Kollaboration. Neben Frankreich ist es vor allem Deutschland gewesen, das sich (bis 1991) sowohl durch finanzielle Zuwendungen als auch durch militärische und andere Ausbildungshilfen hervorgetan hat. Strippenzieher ist insbesondere Franz-Josef Strauß gewesen – dem Diktator Gnassingbé Eyadéma in inniger Duzfreundschaft zugetan.