In der Diskursfalle. Linke Klimapolitik muss praktischer, vielfältiger und konfrontativer werden

ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 532 / 17.10.2008

Es ist abenteuerlich: Mit rund 20 Jahren Verspätung hat auch die bewegungspolitische Linke zur Kenntnis genommen, dass der Klimawandel die weltweit ohnehin exorbitanten Ungleichgewichte rasant verschärft. Allein: die klimapolitischen Konzepte der Linken fallen unverändert blass aus; die Debatte schwankt zwischen betulicher Differenzierungslust und abstraktem Antikapitalismus – vielversprechende Ausnahmen wie das Hamburger Klima- und Antira-Camp abgezogen. Ungeklärt ist nicht nur, wo und wie interveniert werden soll; auch bündnispolitische Erwägungen stecken größtenteils in den Anfängen.

Exemplarisch lässt sich dieses Dilemma an zwei der bereits erschienenen Debattenbeiträge festmachen: Ulrich Brand, Bettina Köhler und Markus Wissen führen zwar kenntnisreich aus (ak 529), in welchem Sinne linke Klimapolitik immer schon „Landwirtschafts-, Energie-, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik“ zu sein habe, und auch halten sie „gezielte Interventionen in die aktuelle Klimapolitik für durchaus notwendig“. Um so schleierhafter ist, dass sie auf die Formulierung praktisch-strategischer Vorschläge nahezu gänzlich verzichten. Die derzeitige „klimapolitische Aufgeregtheit“ müsse vielmehr, so ihr beschauliches Credo, dafür genutzt werden, auf die „zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Probleme hinzuweisen und sie emanzipatorisch statt herrschaftlich zu bearbeiten“.

Völlig anders Tadzio Müller (ak 531): er macht sich für „zwei, drei, viele Klimacamps“ stark. Einziger Haken: Sein Beitrag kreist – bei beachtlicher theoretischer Flughöhe – vor allem um das Projekt einer grünen, „von oben“ forcierten Modernisierung des Kapitalismus. Mit anderen Worten: Müllers hemdsärmlig eingeforderte Klimacamps schnurren – jedenfalls bei näherer Betrachtung – zur bloßen kapitalismuskritischen Veranstaltung zusammen, was sicherlich nicht falsch, aber keineswegs hinreichend ist, um dem herrschenden Treibhaus-Irrsinn ernsthaft Paroli zu bieten.

Kurzer Blick zurück: Spätestens Ende der 1980er Jahre hat die (radikale) Linke die kritische Auseinandersetzung mit sozial-ökologischen Fragestellungen weitgehend den „Grünen“ bzw. den mehr oder weniger etablierten Umweltverbänden überlassen – quasi als Ausdruck davon, dass politisch nichts mehr gemeinsam ging. Aus bewegungshistorischer Perspektive dürfte das einer von mehreren Gründen sein, weshalb hier zu Lande zahlreiche AktivistInnen mit dem Klimawandel kaum etwas anzufangen wissen – auch nicht, nachdem dieser im Anschluss an den letztjährigen G8-Gipfel verstärkt Einzug ins linke Debattenkarussell gehalten hat.

Und doch: Es sollte nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die politische Reflexion gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu keinem Zeitpunkt ganz zum Erliegen gekommen ist, etwa in der Anti-AKW-Bewegung, den Resten der Internationalismusbewegung (namentlich der BUKO) oder der Jugendumweltbewegung. In der aktuellen Debatte ist das unter anderem darin zum Ausdruck gekommen, dass sich binnen kürzester Zeit etliche Punkte herauskristallisiert haben, welche als eine Art konsensuales Grundgerüst in Sachen linker Klimapolitik gelten können:

a) Der menschengemachte Klimawandel ist Fakt. Bereits jetzt sind die sozialen Auswirkungen immens. Beispielhaft sei erwähnt, dass im Jahr 2004 bei Überschwemmungen in Bangladesh ca. 30 Mio. Menschen ihre Häuser zwischenzeitlich verlassen mussten. Umgekehrt hat sich in der Sahelzone zwischen 1968 und 1997 die Niederschlagsmenge um 20 bis 40 Prozent verringert.

Dennoch ist der Klimawandel nicht die ultimative Menschheitskatastrophe, wie der herrschende Diskurs bisweilen den Anschein erweckt. Er stellt vielmehr eine weitere – wenn auch außerordentliche – Zuspitzung der ohnehin desaströsen Verhältnisse dar.

b) Bei aller Dramatik: Es wäre falsch, in politischen Alarmismus zu verfallen, schlicht deshalb, weil dies autoritären bzw. populistischen Lösungsmustern Vorschub leistet. Nichtsdestotrotz ist Dringlichkeit geboten; immerhin soll bereits die als unvermeidbar geltende Erwärmung um durchschnittlich zwei Grad mit gravierenden Verwerfungen einhergehen, insbesondere im Süden des Globus.

So werden beispielsweise 500 Mio. Menschen zusätzlich hungern müssen, die Zahl der Malariakranken wird um 14 Prozent steigen (plus 63 Mio.), 15 bis 40 Prozent aller Pflanzen- und Tierarten werden verschwinden – mit kaum absehbaren Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit.

c) Klimawandel und Kapitalismus sind auf das Allerengste verzahnt: Erstens über das auf fossilen Brennstoffen basierende Energiesystem, zweitens über das absolute Warenlevel (Stichwort: Überproduktion und -konsumtion), drittens über die Zunahme weltweiter Logistik-Dienstleistungen – nicht nur durch wachsende Handelsraten, sondern auch als Folge dezentral organisierter Produktionsketten, viertens über die zunehmende, durch brutale Konkurrenz erzwungene Industrialisierung der Landwirtschaft und fünftens über ein im Laufe der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildetes Naturverständnis, wonach Natur wahlweise verdinglicht, monetarisiert oder zum Ressourcen-Steinbruch erklärt, nicht jedoch in ihrer systemischen Eigenlogik ernst genommen wird.

d) Ist vom Klimawandel die Rede, sind im Kern globale Verteilungsfragen, mithin Interessenkonflikte aufgerufen. Denn ein nomadischer Viehhirte aus dem dürregeplagten Nordkenia, eine Lehrerin aus dem wohlstandsgesättigten Freiburg oder eine Arbeitslose aus dem New Orleans der Post-Katrina-Epoche sind nicht nur unterschiedlich vom Klimawandel betroffen; sie tragen auch unterschiedlich große Verantwortung für dessen Zustandekommen.

e) Gerade in jüngerer Zeit ist Klimapolitik zu einem der prominentesten Politikfelder avanciert. Einerseits soll auf diese Weise – zusammen mit dem Emissionshandel – eine neue Akkumulationsdynamik auf den Weg gebracht werden. Schätzungen gehen davon aus, dass der weltweite Umsatz bei „grünen“ Technologien bis 2020 auf 2.200 Milliarden Euro steigen wird. Andererseits versprechen sich die politischen Eliten von wohlfeil inszenierter Klimarhetorik Legitimitätsgewinne, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das neoliberale Regime allenthalben in die Krise geraten ist.

Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte deutlich werden, dass es keinen Grund zum Katzenjammer gibt. Im Gegenteil: Der linke klimapolitische Diskurs erfreut sich großer Vitalität – jedenfalls unter den unmittelbar Beteiligten! Woran es allerdings hapert – und dieses Manko ist auch beim Klima- und Antira-Camp in Hamburg offenkundig geworden, ist eine strategische Diskussion darüber, wo, mit welcher Zielsetzung und in welcher Konstellation Interventionen erfolgen sollten. In diesem Sinne – „Butter bei die Fische“:

Auseinandersetzungsfelder multiplizieren: Intervention bzw. Widerstand sollte überall dort ansetzen, wo Treibhausgase in großen Mengen emittiert werden, etwa in der Energiewirtschaft, beim Individualverkehr oder in der industriellen Landwirtschaft. Denn es reicht nicht (Stichwort: abstrakter Antikapitalismus), gebetsmühlenartig den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Wachstumslogik und Treibhausgasen zu beschwören. Kapitalismus muss vielmehr in seinen konkreten Materialisierungen zur Sprache kommen, bleiben doch ansonsten zentrale Zusammenhänge bzw. Spannungsfelder ausgeblendet.

So macht die in klimapolitischer Hinsicht unumgängliche Forderung nach einer radikalen Reduzierung des individuellen Auto- bzw. Flugverkehrs nur Sinn, wenn zugleich der massive Ausbau des Bahn-, Bus- und Schiffsverkehrs einschließlich seiner Bestimmung als öffentliches, mithin kostenfreies Gut sowie die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens (oder alternativ der 20-Stunden-Woche und des dreimonatigen Jahresurlaubs) offensiv propagiert werden.

Globale Antagonismen sichtbar machen: Statistisch werden in Kanada jährlich 20 Tonnen CO2 pro Kopf ausgestoßen, in Großbritannien 9,8 Tonnen, in Indien 1,2 Tonnen und in Tansania 0,1 Tonnen. So wenig derlei Zahlen aussagen mögen, sie bringen dennoch auf den Punkt (wie oben schon angedeutet), dass im Zentrum des Klimawandels globale Verteilungsfragen stehen – erkennbar nicht zuletzt daran, dass unter Klimagesichtspunkten gerade mal zwei Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr und Mensch tolerabel sind.

Oder präziser: Das eklatante CO2-Gefälle zwischen globalem Norden und globalem Süden ist die Kehrseite jener Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse, welche gemeinhin unter der Begrifflichkeit der Peripherie-Zentrums-Beziehungen firmieren. Die (radikale) Linke sollte also in ihren klimapolitischen Interventionen unmissverständlich deutlich machen, dass Klimaschutz nicht als moralisch aufgeladenes Wohlfühlprogramm für pseudoaufgeklärte Mittel- und Oberschichten taugt. Vielmehr steht der kapitalistische „way of life“ in seiner Gesamtheit zur Disposition, was umgekehrt mit der Notwendigkeit einhergeht, Angelegenheiten wie Wohlstand, Luxus oder Bedürfnisbefriedigung vollkommen neu auszubuchstabieren (ohne hierbei allerdings die nachholenden und alles andere als CO2-neutralen Entwicklungsinteressen des globalen Südens aus den Augen zu verlieren).

Soziale Folgen anprangern: Klimawandel geht bereits heute mit drastischen Verwerfungen einher – ein hinlänglich bekannter und dennoch häufig vernachlässigter Umstand. Zu berücksichtigen sind unter anderem (1) materielle Zerstörungen inklusive Ernteausfällen, (2) Erkrankungen und Unterernährung, (3) Flucht und Migration sowie (4) gewalttätige Konflikte im Zuge knapper werdender Ressourcen wie Wasser, Ackerböden etc. (Harald Welzer spricht sogar von „Klimakriegen“ – nicht zu verwechseln mit Ressourcenkriegen im Zeitalter von Peak Oil). Das aber heißt: Linke Klimapolitik sollte sich – gleichsam als drittes Interventionsfeld – dieser und weiterer Folgen des Klimawandels annehmen. Vor allem sollte sie mit unmittelbar Betroffenen wie z.B. gesundheitspolitischen, migrantischen oder bäuerlichen Bewegungen kooperieren, einerseits aus solidarischen Gründen, andererseits, um ernsthaft Fuß in sozialen Auseinandersetzungen zu fassen.

Kritische Praxen neu justieren: Keine Frage, herrschende Klimapolitik ist von herrschenden Interessen durchzogen. Ideologiekritik ist insofern völlig richtig am Platz. Und doch: Die Entschiedenheit, mit der zahlreiche Gruppen bzw. AutorInnen – auch der in Gründung befindliche „BUKO-Arbeitsschwerpunkt Soziale Ökologie“ – vorrangig auf diese Karte setzen, ist irritierend. Schlicht deshalb, weil diskursive Interventionen, die nicht in realen Kämpfen verankert sind – ob gegen Steinkohlekraftwerke, (Billig-)Flugwahnsinn oder Massenviehhaltung – früher oder später zum bloßen Diskurstiger zu verkommen drohen. Vollends befremdlich, ja bigott ist jedoch die Selbstgewissheit, mit der viele Linke nahezu jede Variante kritischen Konsums wahlweise unter den Generalverdacht des Tugendterrors stellen oder verstohlen links liegen lassen. Indes, das ist eine andere Geschichte, die anderweitiger (Auf-)Klärung bedarf.

Von Strassbourg nach Kopenhagen

Klimapolitische Crossover forcieren: Der Klimawandel hat keinen privilegierten politischen Ort. Es handelt sich vielmehr um eine klassische Querschnittsproblematik – darin vergleichbar der neoliberalen, mithin kapitalistischen Globalisierung, welche ebenfalls von unterschiedlichen Akteuren bzw. Bewegungen in Frage gestellt wird. Dennoch bedarf es einer eigenständigen Klimabewegung – einerseits, um klimapolitische Auseinandersetzungen anzukurbeln, andererseits, um die diversen, meist lokal verankerten Kämpfe mit klimapolitischen Fokus zu bündeln und somit gesamtgesellschaftlich in Stellung zu bringen.

Als prominente Bündelungspunkte könnten 2009 die Proteste gegen den NATO-Geburtstag in Strassbourg und den Post-Kyoto-Klimagipfel in Kopenhagen fungieren: Strassbourg, weil der NATO derzeit die Aufgabe zukommt, den fossilistischen Kapitalismus militärisch abzusichern (auch vor dem Hintergrund seiner Kollateralschäden, wozu nicht zuletzt der Klimawandel gehören dürfte), Kopenhagen, weil dort die internationale Klimadiplomatie in ihrem simulativen Tun offensiv denunziert werden kann.

Olaf Bernau alias Gregor Samsa/NoLager Bremen