Landkämpfe in Mali. Mikro- und Makro-Landgrabbing setzen Kleinbauern unter Druck
Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (7. Juni 2013)
Ist von Landgrabbing die Rede, werden häufig mehr oder weniger astronomisch anmutende Zahlen zitiert. Etwa der Umstand, dass seit 2008 im Durchschnitt 47 Millionen Hektar Acker-, Wald- und Weideflächen pro Jahr an Großinvestoren verkauft worden sind, was in etwa der Größe Schwedens entspricht. Ähnliches gilt auch für Mali. Hier wird meist das Office du Niger angeführt, ein vom Nigerwasser gespeistes Binnendelta 270 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bamako, wo in den letzten 10 Jahren mindestens 540.000 Hektar Boden verkauft und über weitere 379.000 Hektar Vorvorträge abgeschlossen wurden.
Nichts davon ist falsch, weshalb auch Afrique-Europe-Interact in seiner Öffentlichkeitsarbeit regelmäßig auf jene Zahlen und die damit verknüpften Hintergründe verweist. Gleichwohl sind die konkreten Realitäten ungleich komplexer, viefältiger und widersprüchlicher, wie auch eine 30-köpfige Delegation von Afrique-Europe-Interact – darunter 10 AktivistInnen aus Europa – im vergangenen Jahr erfahren hat. Denn bei einer Delegationsreise ins Office du Niger sind die TeilnehmerInnen ausschließlich Kleinbauern und -bäuerinnen begegnet, die sich primär von einer Art Mikro-Landgrabbing durch lokale PolitikInnen und BeamtInnen der Verwaltungsbehörden des Office du Niger massiv unter Druck gesetzt sahen. Dies zeigt, dass aus Sicht der unmittelbar Betroffenen nicht die jeweiligen Hintergründe für Landgrabbing ausschlaggebend sind (wie zum Beispiel der Anbau von Agrospritpflanzen oder der Neubau einer Straße), sondern die Frage der Landverteilung als solche – eine Maxime, die kleinbäuerliche Bewegungen wie das weltweite Netzwerk Via Campesina schon seit jeher stark machen. Nicht minder bemerkenswert war zudem, dass Kleinbauern und -bäuerinnen eines von Afrique-Europe-Interact unterstüzten Dorfes gerade mal ein Jahr nach der Delegationsreise eine seit Jahren schwelende Auseinandersetzung über 532 Hektar Land zu ihren Gunsten entscheiden konnten.
Im Verlauf der Delegationsreise waren es vor allem drei Aspekte, die von den Bauern und Bäuerinnen immer wieder zur Sprache gebracht wurden: (1) Die kleinbäuerlichen Haushalte im Office du Niger profitieren zwar davon, dass ihr Land über ein riesiges, vom Niger gespeistes Kanalsystem bewässert wird, dennoch leiden viele von ihnen an extremer Landknappheit. Denn trotz permanenten Bevölkerungswachstums haben tausende Familien in den letzten Jahrzehnten keine zusätzlichen Ackerflächen seitens der Verwaltung des Office du Niger erhalten – mit der Konsequenz, dass die durchschnittlichen Brachzeiten (zwecks Regeneration des Bodens) von 15 Jahren in den 1970er Jahren auf mittlerweile gerade mal 2 Jahre zusammengeschmolzen und die Erträge pro Hektar dementsprechend zurückgegangen sind. Zusammen mit hohen Dünger-, Wasser- und Saatgutpreisen führt dies zu dramatischen, auch aus anderen Weltregionen hinlänglich bekannten Verschuldungsspiralen. Nicht selten müssen die betroffenen Kleinbauern und -bäuerinnen daher ihre komplette Reisernte verkaufen, um die eigene Versorgung mit kostengünstigerer Hirse zu gewährleisten – notfalls auch mittels zusätzlicher Kredite. (2) Die ohnehin prekären Bodenverhältnisse im Office du Niger werden zusätzlich dadurch verschärft, dass die Behörden Land entschädigungslos konfiszieren können, sobald die NutzerInnen mit der Wasserrechnung in Verzug geraten sind. Dieser bei Bedarf auch mit Gewalt durchgesetzte Verwaltungsakt geschieht unabhängig davon, ob das Land seit 3, 10 oder 30 Jahren bestellt wurde. Ebenfalls keine Rolle spielen die Gründe des Zahlungsverzugs – ganz gleich, ob Schädlingsbefall aufgetreten ist oder die zentral gewarteten Abflusskanäle verstopft waren und die gesamte Reisernte im nicht abgeflossenen Wasser vergammelt ist. Dabei ist offenkundig, dass sich die BehördenmitarbeiterInnen das Land in hochgradig korrupter Manier selber unter den Nagel reißen oder an klientelistisch verbundene Parteifreunde, Geschäftspartner oder Regierungsangehörige aus Bamako weiterverpachten. (3) Im Zuge diverser IWF-Strukturanpassungsprogramme wurde dem malischen Staat in den vergangenen 25 Jahren unter anderem auferlegt, die finanzielle Unterstützung des kleinbäuerlichen Sektors weitgehend einzustellen – ungeachtet dessen, dass unterschiedlichste Beihilfen für landwirtschaftliche Betriebe in der EU und den USA völlig normal sind. Dies umfasste nicht nur die Subventionierung von Dünger oder die Gewährung von Garantiepreisen, letzteres insbesondere im Baumwollbereich. Auch die Beschäftigung von AgrarberaterInnen musste beendet werden, woraus seinerseits resultierte, dass die Weiterentwicklung von Anbaumethoden wie die Herstellung organischen Düngers oder effektiverer Bewässerungssysteme mangels Wissen verunmöglicht wurde.
Spätestens vor diesem Hintergrund hat sich für Afrique-Europe-Interact die Frage nach der organisatorischen Stärke des bäuerlichen Widerstands im Office du Niger gestellt – jenseits des weit über Mali hinaus berühmt gewordenen Protests der BewohnerInnen des Dorfes Samana Dugu gegen die Abholzung ihrer uralten Karité-Bäume durch den malischen Investor „Moulin Moderne“. Antworten hierauf erfolgten nicht zuletzt von einem bäuerlichen Basisgewerkschafter, der seit der Delegationsreise als Vertreter des Dorfes Kourouma bei Afrique-Europe-Interact aktiv ist. Danach sei insbesondere zweierlei zu berücksichtigen: Zum einen, dass die staatliche Autorität für viele Bauern und Bäuerinnen „wie ein König“ wirke, insbesondere für jene mit wenig Schulbildung. Zum anderen, dass es im Office du Niger bereits zwischen 2005 und 2008 einen mittels massiver Repression erstickten Kampfzyklus gegen das Mikro-Landgrabbing der Behörden gegeben habe. Dadurch sei nicht nur der bäuerliche Widerstand sowie die Solidarität der Dörfer untereinander spürbar geschwächt worden. Vielmehr sei das auch der Grund dafür, weshalb viele Kleinbauern und -bäuerinnen Angst hätten, öffentlich gegen das XXL-Landgrabbing durch Großinvestoren im Office du Niger Stellung zu beziehen. Und dies gelte auch für diejenigen, die lediglich indirekt betroffen seien, also die Masse jener Kleinbauern und -bäuerinnen, die aufgrund ihres Landmangels das ‚weggegrabbschte‘ Land bestens gebrauchen könnten. Um so erfreulicher war es, als unser Netzwerk im März 2013 die Nachricht von einem ersten, quasi gemeinsam erstrittenen Erfolg erreichte. Denn nachdem der bereits erwähnte Basisgewerkschafter aus Kourouma den BewohnerInnen seines Nachbardorfes über Afrique-Europe-Interact erzählt und zudem einen 45-minütigen Film von der Bamako-Dakar-Karawane 2011 gezeigt hatte (also der ersten Aktion von Afrique-Europe-Interact in Mali), fasste eine größere Gruppe um Land geprellter Bauern und Bäuerinnen Mut und wandte sich direkt an die diesbezüglich verantwortlichen Akteure – einschließlich des mit Print-Materialien von Afrique-Europe-Interact dezent unterfütterten Hinweises darauf, dass der Fall international beobachtet würde. Ergebnis war, dass ihnen am 18. März 2013 Besitztitel über 532 Hektar Land ausgestellt wurden, auf die sie bereits seit 10 Jahren gewartet hatten. Dies scheint einmal mehr die Erfahrung zu bestätigen, dass es letztlich vor allem die Stärkung der Betroffenen selber ist, die zu gesellschaftlicher Veränderung führen kann, weshalb Afrique-Europe-Interact in den nächsten Monaten genau hierauf den Akzent in der Kooperation legen möchte.