Fragile Balanceakte. Das Beispiel Afrique-Europe-Interact
Luxemburg, Dezember 2013
Anfang der 1990er Jahre ist hierzulande die einst handlungsmächtige Internationalismus- bzw. Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung buchstäblich kollabiert. Verantwortlich war zum einen der Epochenbruch von 1989 samt seiner rassistischen Fernwirkungen im wiedervereinigten Deutschland, zum anderen die neoliberale Globalisierungsoffensive, die seinerzeit begonnen hatte, rund um den Globus gesamtgesellschaftliche Kräfteverhältnisse spürbar zu verschieben. Hinzu kam, dass sich die Internationalismusbewegung zunehmend innerlinker Kritik ausgesetzt sah. Wichtige Schlagworte lauteten ›simplifizierende Gut-Böse-Weltbilder‹, ›Fetischisierung des bewaffneten Kampfes‹, ›Solidaritäts-Hopping‹ oder ›fehlender Bezug auf soziale Auseinandersetzungen im Norden‹. Die Benennung dieser und weiterer Irrtümer war zweifelsohne berechtigt, ja notwendig. Und dennoch mutierte die Kritik oft zum Zerrbild – mit der Konsequenz, dass die facettenreiche Geschichte internationalistischer Solidarität auf einige ihrer schlimmsten Auswüchse zusammenschnurrte: beispielsweise auf die Flugzeugentführung von Entebbe im Jahr 1976, bei der unter Beteiligung der RZ-Gründungsmitglieder Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann ausschließlich jüdische Passagiere als Geiseln genommen wurden. Präziser: In der stark antideutsch bzw. antinational geprägten Debatte wurde geflissentlich ausgeblendet, dass die Internationalismusbewegung ihre Praxis bereits in den 1980er Jahren selber auf den Prüfstand gestellt und zahlreiche Häutungs- und Transformationsprozesse durchlaufen hatte (vgl. Balsen/ Rössel 1986). Ganz zu schweigen davon, dass bereits 1994 mit Beginn des Aufstands der Zapatistas in Mexiko ein neuer Zyklus transnationaler Solidarität entstanden war.
Weiterlesen