Blockadepolitik im Bröckeln. Transnationale Proteste bringen Bewegung in Landkonflikt (Mali)
Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (3. Dezember 2015)
Seit zwei Jahren unterstützt Afrique-Europe-Interact den Kampf der beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou zur Wiedererlangung ihres durch den malischen Großinvestor Modibo Keita im Jahr 2010 geraubten Landes. Spektakuläre Durchbrüche konnten in dieser Zeit noch nicht erzielt werden, gleichwohl besteht unter den Dorfbewohner_innen Einigkeit darüber, dass sich die Rahmenbedingungen ihres Widerstands erheblich verbessert haben, seit Afrique-Europe-Interact mit von der Partie ist. In diesem Sinne möchten wir nicht nur über die Geschehnisse im vergangenen Jahr berichten, sondern auch einige der Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen beleuchten, die typisch für Landkämpfe in Mali bzw. in Westafrika insgesamt sind.
Rückblende: Nach mehreren Kundgebungen und öffentlichen Briefen in Deutschland wurde Afrique-Europe-Interact im Februar 2015 zu einer zweieinhalbstündigen Besprechung ins Deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nach Bonn eingeladen. In diesem Rahmen erfuhren wir unter anderem, dass die Afrikanische Entwicklungsbank (an der Deutschland mit 4,1 Prozent beteiligt ist) im September 2014 einem Kredit von 16.8 Millionen Euro an den eingangs bereits erwähnten Großinvestor Modibo Keita nur unter zwei Bedingungen zugestimmt hat: Einerseits, dass in dieser Sache keine gerichtlichen Verfahren mehr anhängig seien, andererseits, dass die betroffenen Familien Entschädigungen erhalten hätten. Beides hat Modibo Keita bejaht, beides ist jedoch unzutreffend, wie Afrique-Europe-Interact im März 2015 bei einem Delegationsbesuch in Sanamadougou und Sahou feststellen musste. Konkreter: Der im Februar 2012 begonnene Prozess ist nicht beendet, sondern seit Ende 2012 schlicht ausgesetzt worden, weshalb ein von den beiden Dörfern neu beauftragter Rechtsanwalt die Wiederaufnahme des Verfahrens problemlos erwirken konnte. Darüber hinaus haben lediglich 8 Familien eine Entschädigung akzeptiert, während die große Mehrheit der Betroffenen auf die Rückgabe ihres Landes pocht – was auch deshalb plausibel ist, weil die beiden Dörfer anlässlich des Gerichtsverfahrens stichhaltige Argumente dafür präsentiert haben, dass der zwischen Modibo Keita und dem malischen Staat abgeschlossene Pachtvertrag ihr Land überhaupt nicht umfasst.
Umso unverständlicher ist es, dass das BMZ im Juni 2015 in einem Brief an Afrique-Europe-Interact mitgeteilt hat, dass die Afrikanische Enwicklungsbank den entsprechenden Hinweisen nachgegangen sei und keine Unregelmäßigkeiten habe feststellen können. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die in diesem Kontext erfolgten Untersuchungen bei den malischen Regierungsstellen erhebliche Verunsicherung hervorgerufen haben. Denn bereits im Mai tauchten zwei von der Regierung in Bamako bestellte Landvermesser in Sanamadougou und Sahou auf, um zusammen mit den Bewohner_innen ihre ehemaligen Felder zu vermessen – dazu gleich noch mehr. Es folgte am 16. Juni eine Demonstration mit mehreren hundert Bauern und Bäuerinnen in unmittelbarer Nähe des bei Sahou gelegenen Betriebsgeländes von Modibo Keita, begleitet von intensiver Pressearbeit der malischen Aktivist_innen von Afrique-Europe-Interact. Öffentlichen Widerhall hat all dies unter anderem in einer turbulenten Parlamentsdebatte Anfang Juli gefunden, als Oumar Mariko – allseits bekannter Generalsekretär der sozialistischen Partei Malis – den Agrarminister Bocari Tréta hinsichtlich Sanamadougou und Sahou buchstäblich ins Kreuzverhör genommen hat.
Doch damit nicht genug: Bei einer Pressekonferenz Mitte Juli in den Vereinsräumlichkeiten von Afrique-Europe-Interact in Bamako kündigten Vertreter der beiden Dörfer eine öffentliche Besetzung des geraubten Landes zum Ende des Fastenmonats Ramadan an, also im Rahmen des Zuckerfestes. Was für hiesige Ohren harmlos klingen mag, elektrisierte indes die malischen Behörden: Eine Aktion an einem hohen religiösen Feiertag galt als geradezu frevlerisch, entsprechend wurden die Repräsentanten des Dorfes mehrfach zu Gesprächen mit dem zuständigen Gouverneur, dem Präfekten und dem Chef der Gendarmerie vorgeladen (im Übrigen auch zum Austausch über den Landkonflikt selbst). Zudem zogen bei den weit abgelegenen Dörfern immer wieder starke Polizeieinheiten auf, so dass die Dorfbewohner_innen die Aktion zunächst einmal absagen mussten – bevor sie erst kürzlich einen neuen Anlauf angekündigt haben, diesmal im Kontext eines öffentlichen Briefes, in dem die ultimative Rückgabe des Landes bis Mai 2016 gefordert wird.
Spätestens an dieser Stelle lohnt es, einen kurzen Blick auf zumindest zwei der grundlegenden Herausforderungen des Landkonfliktes in Sanamadougou und Sahou zu werfen. Auffällig war zunächst, dass zwar die Dorfbewohner_innen von Anfang an erbitterten Widerstand geleistet haben, dass die malischen Regierungs- und Behördenvertreter_innen allerdings erst ab dem Zeitpunkt auf die Dorfbewohner_innen zugegangen sind, als auch international politischer Druck spürbar wurde – nicht zuletzt aus Deutschland, das in Mali vielfältig engagiert ist. So bitter dies sein mag, Fakt ist auch, wie Vertreter_innen der Dörfer erst jüngst berichteten, dass die Bauern und Bäuerinnen durch die so ermöglichte Erfahrung eigener Wirkmächtigkeit enorm an Selbstvertrauen gewonnen haben. Deutlich sei das vor allem am 16. Juni geworden. Denn auch wenn die ursprünglich angekündigte Dauerblockade des Betriebsgeländes nicht stattgefunden hat, wurde der Umstand, überhaupt eine solche Demonstration gemacht zu haben, als extrem wichtiger Schritt nach vorne gewertet. In diesem Zusammenhang sticht des Weiteren der hochgradig undemokratische, ja herrschaftliche Charakter der Beziehung zwischen staatlicher Macht und Dorfbewohner_innen ist Auge. Schmerzhaftes Beispiel dürften in dieser Hinsicht die bereits erwähnten Vermessungen sein. Denn obwohl die Dorfbewohner_innen die Vermesser tagelang begleitet haben, wurden ihnen bis heute nicht der Zweck dieses staatlichen Verwaltungsakts mitgeteilt. Unklar ist also, ob hiermit die Vergabe von Ausgleichsflächen vorbereitet werden sollte (was die Dorfbewohner_innen ablehnen würden) oder ob es um den ersten Schritt einer geordneten Rückgabe des geraubten Landes gegangen ist, wie ein höherer Vertreter des Staats erst vor kurzem raunte. Und just dieses Raunen ist keineswegs zufällig, sondern eine in Ländern wie Mali häufig angewandte Strategie. Denn durch das gezielte Wecken von Hoffnungen soll, so das Kalkül bestimmter Regierungsvertreter_innen, der Prozess gleichsam kaugummiartig in die Länge gezogen werden, in der Hoffnung, die Dorfbewohner_innen hierdurch mürbe machen und zum Verlassen ihrer Dörfer bewegen zu können.
Schließlich: Modibo Keita hat zwar seit besagter Demonstration im Juni seine zweiwöchentlichen Besuche vor Ort eingestellt, außerdem ist ihm seine letztjährige Kartoffelernte weggefault – paradoxerweise entgegen der offiziellen Zielsetzung, mit Hilfe agrarindustrieller Anbaumethoden die allgemeine Ernährungsicherheit zu erhöhen. Und doch ist der Ausgang des Landkonflikts völlig ungewiss. Unstrittig ist lediglich, dass vom Widerstand in Sanamadougou und Sahou präventive Wirkungen ausgehen werden. Denn ein zweites Mal dürfte die malische Regierung eine derart offensichtliche Verletzung geltenden Rechts bestimmt nicht durchgehen lassen.