Trotz aller Mängel ein Erfolg. Das Pariser Klimaabkommen ist Ausdruck veränderter Kräfteverhältnisse

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 612 / 19.1.2016

Gewiss – gemessen an den tatsächlichen Notwendigkeiten liegt es nahe, das vielerorts umjubelte Pariser Klima-Abkommen als reines Blendwerk abzutun: Weder enthält es verbindliche CO2-Reduktionsziele noch angemessene Unterstützungszusagen für die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder im Süden des Globus. Entsprechend ist auch nach Paris davon auszugehen, dass die Welt auf 3 bis 4 Grad Erderwärmung zusteuert, was für unzählige Menschen fürchterliche Konsequenzen haben dürfte – ein Umstand, auf den auch der ehemalige bolivianische Klima-Chefunterhändler Pablo Solón in Paris mit drastischen Worten hingewiesen hat: „Wir werden in eine Situation gebracht, in der die Frage ist, wessen Kinder überleben und wessen sterben werden.“

Doch dies ist nur die eine Seite von Paris – gleichsam der ungefilterte Blick in den Abgrund des Klimadesasters, in den bereits seit Anfang der 1970er Jahre immer mehr Weltregionen hineingezogen werden. Auf der anderen Seite gilt, dass sich in Paris die gesamte Staatengemeinschaft erstmalig auf ein Vertragswerk verständigt hat, das tatsächlich das Zeug dazu haben könnte, als Blaupause zur Abwendung der ultimativen Klimakatastrophe zu fungieren. Nur wer beide Perspektiven gleichermaßen im Blick behält, wird der hochgradig ambivalenten, ja widersprüchlichen Situation gerecht, wie sie sich im Zuge von Paris herauskristallisiert hat. Und dies sei vor allem deshalb betont, weil relevante Teile der linken Klimabewegung nicht müde werden, das Pariser Abkommen als bloße Klimashow des Nordens zu geißeln. Denn hierdurch gehen nicht nur wichtige Zwischentöne verloren, vielmehr wird auch verkannt, inwiefern „das Pariser Abkommen einen wichtigen Haken bietet, an dem die Menschen ihre Forderungen aufhängen können“ (Naomi Klein).

Konkret sind es vor allem sechs Beschlüsse, die aus dem Vertrag positiv hervorgehoben werden sollten: Erstens ist in Paris das völlig willkürliche, ja chauvinistisch-neokoloniale 2 Grad-Ziel der bisherigen Klimaverhandlungen aufgebrochen worden. Stattdessen wurde sich gemeinsam Rechenschaft darüber abgelegt, dass die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad oder weniger begrenzt werden sollte, um die bereits begonnene Katastrophe halbwegs einzudämmen. Zweitens wurde mit Blick auf diese Zielsetzung beschlossen, die Verwirklichung einer emmissionsneutralen Weltwirtschaft ab 2050 anzustreben. Das lässt zwar CO2-Emissionen weiterhin zu, jedenfalls wenn das entsprechende CO2 durch Senken absorbiert wird, beispielsweise durch Wälder. Da dies jedoch nur in einem begrenzten Rahmen möglich ist, wurden in Paris de facto auch die fossilen Energieträger zu Grabe getragen – unbeschadet dessen, dass der diesbezügliche Schlüsselbegriff der „Dekarbornisierung“ nicht im Vertragsext auftaucht. Drittens wurde ein so genannter „Hebemachanismus“ beschlossen. Denn unstrittig war, dass die von den Einzelstaaten bislang angegebenen CO2-Reduktionsziele bei weitem nicht genügen, um das anvisierte 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Praktisch heißt das, dass die Vertragsstaaten ab sofort alle 5 Jahre verbesserte Klimaziele vorzulegen haben. Viertens ist der Waldschutz erstmalig prominent in einem Klimaabkommen verankert worden – ein Aspekt, dessen Bedeutsamkeit insbesondere daran deutlich wird, dass Waldrodungen mit 20 Prozent zu den globalen Emissionen beitragen. Fünftens ist klimabedingte Migration ebenfalls erstmalig als eine Folge des Klimawandels in ein Abkommen aufgenommen worden. Wichtig ist dies unter anderem deshalb, weil so Klimageflüchtete, die meist in ihrer Herkunftsregion verbleiben, viel gezielter unterstützt werden können, insbesondere durch Anpassungsmaßnahmen in der Landwirtschaft (Bewässerung, Aufforstung etc.). Sechstens ist beschlossen worden, die bereits in Kopenhagen ins Auge gefasste Summe von jährlich 100 Mrd. Euro zwischen 2020 und 2025 zur Unterstützung der arm gemachten Länder ab 2026 schrittweise zu erhöhen. Diese Zahl ist zwar grotesk niedrig, aber immerhin ein erster Anfang.

Keine Frage – derartige Absichtserklärungen ändern zunächst einmal gar nichts, zumal der ressourcenfressende Turbokapitalismus fester denn je im Sattel zu sitzen scheint. Und doch ist in Paris ungleich mehr beschlossen worden, als noch 2009 in Kopenhagen möglich war. Spätestens dies zeigt, dass mittlerweile die unzähligen Klimakämpfe rund um den Globus deutliche Spuren hinterlassen haben. Zugespitzter: Paris macht deutlich, dass der öffentliche Diskurs kritischer geworden ist, was sicherlich nicht das Ergebnis eines Selbst-Läuterungsprozesses des fossilistischen Mainstreams ist, sondern Ausdruck verschobener klimapolitischer Kräfteverhältnisse. Um so wichtiger scheint daher, in lokalen Auseinandersetzungen (zum Beispiel gegen den Baunkohleabbau) die Öffentlichkeit stets auch mit dem drohenden 3 bis 4-Grad-Desaster zu konfrontieren – und zwar mit dem Pariser Abkommen unterm Arm, das fortan in Klimakämpfen eine wichtige sowohl programmatische als auch normative, mithin legitimatorische Bezugsgröße darstellen sollte.

Olaf Bernau (NoLager Bremen) ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact