20.06.2027 | Anlageobjekt Afrika. Die deutsche G20-Präsidentschaft propagiert »Investitionspartnerschaften« im Kampf gegen Armut und Hunger

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 628 / 20.06.2017

Zu den zentralen Säulen der deutschen G20-Präsidentschaft gehört die „Compact with Africa“-Initiative, welche die Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen in afrikanischen Ländern verbessern soll. Erste Weichenstellungen sind bereits beim G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure im März in Baden-Baden erfolgt. Als weiterer Meilenstein hat am 12./13. Juni die G20 Africa Partnership-Konferenz unter dem Titel „Investing in a Common Future“ in Berlin stattgefunden – dies unter Beteiligung zahlreicher Vertreter_innen ausgewählter afrikanischer Länder.

Der demonstrative Bezug auf afrikapolitische Belange – einschließlich gespreizter Entwicklungs- und Mitmenschlichkeitsrhetorik – ist keineswegs neu: Bereits 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm stand Afrika ganz oben auf der Agenda. Noch schlimmer, ja schamloser im Jahr 2005: Damals war dem britischen Premier Tony Blair das Husarenstück gelungen, die von über 500 zivilgesellschaftlichen Organisationen getragene Kampagne „Make Poverty History“ auf seine Seite zu ziehen. Ergebnis war einerseits eine Großdemonstration mit 250.000 Menschen in Edingburgh, die die Arbeitsergebnisse einer von Blair im Vorfeld des G8-Gipfels eingesetzten Afrika-Kommission ausdrücklich unterstützt hat. Andererseits gingen am gleichen Tag acht von Bob Geldorf initiierte und weltweit übertragene Live-8-Konzerte über die Bühne (8 = aid = Hilfe).

Neu bzw. verändert ist indes die aktuelle Weltlage, jedenfalls aus deutscher bzw. europäischer Sicht: Im Zuge der so genannten Flüchtlingskrise ist nicht nur die Frage der Fluchtursachen innerhalb der EU zu einem buchstäblichen Dauerbrenner avanciert. Auch Klimawandel und Terror spielen heute hinsichtlich Afrika eine ungleich bedeutsamere Rolle als noch vor 10 oder 15 Jahren. Es scheint insofern folgerichtig, dass Afrika-Konzepte hierzulande Hochkonjunktur haben: Bereits im Mai 2014 hat die Bundesregierung ihre „Afrikapolitischen Leitlinien“ präsentiert. Erstmalig wurde Afrika dort als Kontinent der Chancen, nicht der Krisen definiert – eine Pointe, die sich seitdem als roter Faden durch sämtliche öffentliche Verlautbarungen zieht. Konkret werden damit nicht nur die reichhaltigen Bodenschätze und Ackerflächen in den Blick genommen. Vielmehr wird Afrika im Zuge des rasanten Bevölkerungswachstums auch als zukünftiger Absatzmarkt gepriesen, zumal die überwiegend junge Bevölkerung eine hohe Affinität zu Informationstechnologie und Mobilkommunikation aufweise. Gleichzeitig werden in den Afrikapolitischen Leitlinien die (vermeintlichen) Gefahren durch Migration, Waffenhandel, Drogenschmuggel und bewaffnete Konflikte beschworen, weshalb militärische und ähnliche Maßnahmen ebenfalls erforderlich seien. Was das konkret heißt, machte Verteidigungsministerin Ursula van der Leyen seinerzeit mit ihrem französischen Amtskollegen in einem Gastbeitrag für die FAZ unmissverständlich deutlich: „Es geht um die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern, strategische Handelsinteressen und auch um die Sicherheit europäischer [sic] Staatsbürger in Afrika. Diese gemeinsamen Interessen zu wahren und zu schützen, ist daher ein gemeinsames Anliegen: der Afrikaner wie der Europäer.“

Ganz in diesem Sinne liegen derzeit drei Afrika-Konzepte der Bundesregierung auf dem Tisch: Die vom Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vorgelegten „Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika“, die unter der Ägide des Finanzministeriums entwickelte Initiative „Compact with Africa“ („Compact“ heißt „Pakt“ und steht für die angestrebten Investitonspartnerschaften) und schließlich die vom Ministerium für Wirtschaft und Energie propagierte Initiative „Pro!Afrika“, die ebenfalls privatwirtschaftliche Kräfte entfesseln will, in der aktuellen Debatte allerdings eher randständig ist.

Bereits im Januar 2017 hat Entwicklungsminister Gerd Müller seine Initiative vorgestellt: Der Marshallplan sei ein „dynamisches Dokument“, das ausdrücklich zur Diskussion einlade. Grundsätzlich müsse die „jahrzehntelange Geber-Nehmer-Mentalität“ zugunsten einer „partnerschaftlichen und wirtschaftlichen Kooperation“ abgelöst werden, die auf „Eigeninitiative und Eigenverantwortung“ setze. Die Schaffung von jährlich 20 Millionen neuen Jobs für die Jugend sei das derzeit wichtigste Ziel für Afrika, im Übrigen auch deshalb, um die Zahl der neu aufbrechenden Migrant_innen und Geflüchteten zu reduzieren. Doch dies könne nicht durch Entwicklungszusammenarbeit erreicht werden, sondern nur, indem mehr westliche Firmen in Afrika investieren würden. Erwähnt wird in diesem Kontext unter anderem, dass allein für die Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele 600 Milliarden US-Dollar pro Jahr erforderlich seien.

Ebenfalls zu Jahresbeginn – aber ohne weitergehende Abstimmung mit dem BMZ – hat das Finanzministerium seine Compact-Initiative vorgestellt, die mittlerweile die afrikapolitische Debatte im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft weitgehend bestimmt: Mit Ruanda, Senegal, der Elfenbeinküste, Marokko und Tunesien haben bereits fünf afrikanische Länder ihr Interesse an einer G20-Investitionspartnerschaft bekundet, weitere Länder sollen in den nächsten Jahren folgen. Im Kern geht es um mehr oder weniger neoliberale Reformen, die so genannte Investitionshemmnisse abbauen sollen. Öffentliche (Entwicklungshilfe-)Gelder sollen nur insoweit eingesetzt werden, als sie privatwirtschaftliche Investitionen erleichtern und somit als Hebel fungieren. Lässt man den von von der Weltbank, dem IWF und der Afrikanischen Entwicklungsbank erarbeiteten Maßnahmekatalog Revue passieren, wird deutlich, dass es sich überwiegend um alten Wein in neuen Schläuchen handelt. Zugespitzter: Mindestens sechs Gründe sprechen dafür, dass es sich um eine für Afrika brandgefährliche Initiative handelt:

Erstens haben ausländische Privatinvestitionen Afrika in den letzten drei Jahrzehnten kaum nach vorne gebracht, eher im Gegenteil: Sie haben immer neue Ausplünderungszyklen in Gang gesetzt – samt Festschreibung der Afrikanischen Wirtschaft auf einen bloßen Rohstofflieferanten. Zweitens können ausländische Großinvestitionen nicht die Förderung kleiner Betriebe ersetzen, nur solche schaffen aber nachhaltige Arbeitsplätze. Drittens droht den beteiligten Ländern eine neue Schuldenkrise, denn insofern es bei den Investitionen um Kredite geht (und nicht um Direktbeteiligungen an Firmen), handelt es sich um anlagesuchendes Kapital, das im Lichte der globalen Niedrigzinsphase mit hohen Zinssätzen zwischen 5 und 15 Prozent operiert. Entsprechend hat die NGO erlassjahr 2000 in einem Positionspapier auch darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung unter anderem Pensionsfonds als potentielle Anleger im Visier hat. Viertens wird in der Compact-Initative nicht mit einem Wort auf die CO2-Reduktionsziele des Pariser Klimaabkommens eingegangen, genau das wäre aber bei einem Investitionsprogramm dieses Ausmaßes unumgänglich. Fünftens droht die Gefahr einer Abwärtsspirale von Sozial- und Umweltstandards – im Wettbewerb um neu Investoren. Dies passt sechstens dazu, dass die Compact-Initative dem Investorenschutz große Bedeutung beimisst, zu Beteiligungsverfahren durch die lokale Bevölkerung jedoch kein Wort verliert (1).

Kurzum: Der G20-Protest in Hamburg ist dringend dazu aufgerufen, offensiv die G20-Initiative „Compact with Africa“ zu skandalisieren, die anders als der Marshallplan nicht die geringsten kritischen Anknüpfungspunkte bietet (2). Und dies umso mehr als die afrikanischen Wirtschaft durch die ausverhandelten, aber noch nicht in Kraft getretenen EPA-Freihandelsabkommen („Economic Partnership Agreements“ (EPA) ohnehin Gefahr läuft, von europäischen Exporten erdrückt zu werden (3).

Olaf Bernau ist bei Afrique-Europe-Interact aktiv

(1) Hintergrundtexte zu den hier vorgestellten Afrika-Konzepten finden sich ab Sonntag (11.06.2017) auf: www.afrique-europe-interact.net

(2) Vgl. hierzu die Langversion des Artikels auf www.afrique-europe-interact.net

(3) Zu den Aktionen und Veranstaltungen anlässlich der G20-Afrika-Konferenz in Berlin: http://wirsindwuetend.blogsport.eu/