„Wie ein menschlicher Gott“. Richard Fouofié Djimeli über die Diktatur von Paul Biya in Kamerun

Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (06. Dezember 2019)

Du hast zusammen mit anderen Exil-Oppositionellen in der Nacht vom 26. auf den 27. Januar 2019 die kamerunische Botschaft in Berlin besetzt. Was war der Anlass?

In Kamerun hat es am gleichen Tag eine friedliche Demonstration der Opposition gegeben – unter anderem gegen die Wahlfälschung bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018. Aber die Sicherheitskräfte haben gezielt geschossen, auch auf eine bekannte Anwältin. Einem Mann wurde in die Beine geschossen, trotzdem hat die Polizei ihn gezwungen weiterzulaufen. Das war wie ein offener Krieg in Douala, der zweitgrößten Stadt in Kamerun. Deshalb wollten wir ein starkes Zeichen setzen, auch um deutlich zu machen, dass es in Kamerun eine Diktatur gibt.

In Paris wurde die kamerunische Botschaft ebenfalls besetzt – war das koordiniert?

Nein. Wir hatten am Nachmittag eine Demonstration vor der Schweizer Botschaft organisiert. Und erst dort haben wir über WhatsApp die Bilder aus Kamerun erhalten. Es war eine spontane Entscheidung, die Botschaft zu besetzen.

Warum vor der Schweizer Botschaft?

Das ist das zweite Land des kamerunischen Präsidenten Paul Biya: Nur wenn er nicht dort oder in Frankreich ist, hält er sich in Kamerun auf. In Genf hat Paul Biya ein großes Appartement im Intercontinental-Hotel, wo er bis zu 6 Monate pro Jahr lebt. Er residiert dort wie ein König. Deshalb haben wir zum Protest aufgerufen.

Inwiefern waren die Wahlen im Oktober 2018 gefälscht?

Paul Biya hat selbst dort offiziell verloren, wo viele Beamte leben, die von seinem Regime profitieren. Gravierender ist aber, dass bei der Prüfung der Wahlergebnisse deutlich wurde, dass die Liste mit den Ergebnissen aus den einzelnen Regionen nicht von den Vertreter*innen der Oppositionsparteien unterschrieben war. Genau das sieht das Wahlgesetz aber zwingend vor. Dieser Fehler wurde auf offener Bühne vor dem Verfassungsgericht deutlich, trotzdem hat Paul Biya die Wahlen offiziell gewonnen.

Paul Biya ist 1962 erstmalig Minister geworden, 1975 Premierminister, 1982 Präsident. Das ist eine ungewöhnlich lange Karriere. Wer ist dieser Mann?

Paul Biya ist wie ein menschlicher Gott. Ich war 4 Jahre alt, als Paul Biya zum Präsidenten ernannt wurde. Bis heute hat Paul Biya keine einzige Wahl gewonnen: 1982 hat er die Macht von seinem Vorgänger geerbt, seitdem waren die Wahlen entweder manipuliert oder von der Opposition boykottiert. Paul Biya hat ein System organisiert, das man als „eiserne Hand in Samthandschuhen“ bezeichnen kann. Denn Paul Biya herrscht über Korruption: Er unterstützt Minister bei korrupten Machenschaften, um sie erpressen zu können. Er will, dass jeder Minister Dreck am Stecken hat. Und es werden immer wieder Direktor*innen oder Minister*innen ins Gefängnis gesteckt – das kann man in der Presse ständig lesen.

Hat er denn irgendwelche Unterstützung in der Bevölkerung?

Nach meiner Schätzung sind es allenfalls 10 Prozent der Bevölkerung, die ihn anerkennen. Seine Machtinstrumente sind Angst und Bestechung. Viele Beamte sind gezwungen, mit Paul Biya zusammenzuarbeiten, um ihre Arbeitsstelle zu behalten. Selbst meine Mutter wurde wegen meiner politischen Arbeit bedroht.

Ihr betont immer, dass Biya maßgeblich durch Frankreich gestützt würde. Was sind Frankreichs Interessen?

1959 – ein Jahr vor der Unabhängigkeit – hat Frankreich einen bis heute gültigen Pakt mit Kamerun unterschrieben. Dieser legt unter anderem fest, dass Frankreich eine Art Erstzugriffsrecht auf die Bodenschätze des Landes hat. Hinzu kommen die Interessen diverser französischer Konzerne, die nichts mit Rohstoffen zu tun haben. Letztlich geht es Frankreich um Einfluss – auch wegen der Konkurrenz mit China und Russland. Frankreich ist ökonomisch in Gabun, in Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik und in Äquatorial-Guinea aktiv, auch in Nigeria, wo Total im Ölbusiness steckt. Und Kamerun liegt geographisch in der Mitte dieser Länder. Deshalb will Frankreich seine Präsenz aufrechterhalten.

Siehst du Zusammenhänge zur Kolonialgeschichte?

Maurice Kamto, der die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 eigentlich gewonnen hat, saß von Januar bis Oktober 2019 im Knast. Dies verweist auf die zahlreichen Morde an unseren Unabhängigkeitsführern: Ruben Um Nyobé, der Präsident der Unabhängigkeitsbewegung UPC, wurde 1958 von französischen Truppen ermordet – UPC steht für Union der Völker Kameruns. 1961 wurde sein Nachfolger an der Spitze der UPC, Felix Moumié, von einem französischen Agenten in Genf vergiftet. Und Ernest Ouandié – der Nachfolger von Felix Moumié – wurde 1971 hingerichtet, mit Einverständnis des französischen Präsidenten de Gaulle. Gleichzeitig wurde ein versteckter Krieg gegen die UPC geführt. Dabei ist es nicht nur zu gezielten Mordanschlägen gekommen. Es wurde auch Napalm eingesetzt, insgesamt haben bis zu 200.000 Menschen ihr Leben verloren.

Im Oktober 2018 hat der Deutsche Bundestag über die Situation in Kamerun debattiert. Aufhänger der Bundestagsdebatte war der Konflikt im Westen des Landes zwischen englischsprachiger Minderheit und Zentralregierung. In welchem Verhältnis steht dieser Konflikt zur Diktatur Paul Biyas? Und welche Rolle spielen die Angriffe von Boko Haram, die seit einigen Jahren von Nigeria in den Norden des Landes ausstrahlen?

Man kann die verschiedenen Probleme nicht vergleichen. Die Zahl der Toten in der Auseinandersetzung mit der englischsprachigen Minderheit ist mittlerweile wirklich dramatisch – konkret sollen es 4.000 sein. Bezüglich Boko Haram wird der Konflikt von der Regierung genutzt, um die militärische Präsenz Frankreichs in Kamerun zu rechtfertigen. All das ist schlimm, die Ursache dieser Konflikte ist aber die Diktatur von Paul Biya. Deshalb sollte Deutschland nicht länger Geld für ein Land ausgeben, wo Kinder auf dem Rücken ihrer Mütter erschossen werden. Es müsste auch um Sanktionen gehen – die EU hätte die Lösung in ihren Händen. Gleichzeitig muss es in Europa ein Bleiberecht für Geflüchtete aus Kamerun geben. Es geht nicht, das Biya-Regime zu kritisieren, aber Kameruner*innen abzuschieben.

Nach der Aktion in Berlin hast du dich zum Botschafter ernannt? Was steckt dahinter?

Der offizielle Botschafter ist zwar legal, nicht aber legitim – denn Paul Biya hat die Wahlen verloren. Es ist klar, dass ich kein Diplomat bin, dennoch ist es wichtig, dass in den Augen vieler nicht mehr Jean-Marc Mpay Botschafter ist, sondern Richard Fouofié Djimeli. Jedes Mal, wenn ich sage, dass ich Botschafter bin, wird diese Konfrontation mit Paul Biya sichtbar.

Was sagen die Menschen dazu?

Alle Aktivist*innen nennen mich „Botschafter“. Sie zeigen damit, dass ich ihre Stimme vertrete. Dadurch wissen die Leute, dass der reale Botschafter illegitim ist. Und doch sollte klar sein: Damit sich in Kamerun etwas verändern kann, reicht es nicht, dass Paul Biya irgendwann nicht mehr da ist. Vielmehr muss Frankreich endlich seine Politik verändern.

Richard Fouofié Djimeli ist Filmproduzent und Schauspieler. Nachdem er 2013 die Filmsatire „Les derniers prédateurs“ (Die letzten Räuber) veröffentlicht hat, wurde er vom kamerunischen Geheimdienst entführt und gefoltert. Seitdem lebt Djimeli in Berlin und ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact. Derzeit arbeitet er an einem Film zu zirkulärer Migration in Mali.