01.10.2021 | Protestmarsch von Bauern und Bäuerinnen nach Diabaly (Office du Niger/Mali). Interview mit zwei Beteiligten

Vorbemerkung: Das Office du Niger ist ein Bewässerungsgebiet in Mali, das bereits im Kolonialismus angelegt wurde – damals mit dem Ziel, die französische Textilindustrie mit billiger Baumwolle zu versorgen. Anfangs wurden bäuerliche Familien zwangsverpflichtet, im Office du Niger zu arbeiten, Und die Erinnerung daran ist bis heute lebendig, wie in den beiden Interviews deutlich wird. Mittlerweile wird im Office du Niger vor allem Reis und Gemüse angebaut, zum Teil auch Zuckerrohr – überwiegend von kleinbäuerlichen Haushalten. Doch das Office du Niger ist aktuell mit zwei großen Problemlagen konfrontiert:

Einerseits breiten sich dschihadistische Gruppierungen immer weiter aus (vgl. den Blogeintrag Lokale Konflikte und Gewalteskalation im Office du Niger (Mali) vom 22.09.2021), andererseits kommt die staatliche Verwaltung des Office du Niger ihren Aufgaben einmal mehr nicht nach: Seit mehreren Monaten gelangt im Umfeld von Dogofry kein Wasser über die Bewässerungskanäle auf die Felder. Warum das so ist, ist unklar, aber gerade im September wäre das absolut nicht nötig. Denn es ist Regenzeit und in diesen Monaten führt der Niger, aus dem das Kanalsystem gespeist wird, besonders viel Wasser. Insofern spricht vieles dafür, dass es um unzureichende Wartung der Kanäle geht oder darum, dass das Wasser vor allem zugunsten großer agrarindustriell bearbeiteter Flächen benutzt wird – ungeachtet dessen, dass die bäuerlichen Haushalte hohe Wassergebühren bezahlen müssen. Die Bewohner:innen der betroffenen Dörfer haben deshalb einen Protestmarsch nach Diabaly durchgeführt, das ist eine Kleinstadt im Norden des Office du Niger, wo einige Verwaltungsbehörden angesiedelt sind. Ziel des Marsches war es, die nationale und internationale Öffentlichkeit auf die Situation aufmerksam zu machen.

Ich möchte abschließend Alassane Dicko aus Bamako danken, der die Aussagen der Bauern und Bäuerinnen in dem Video zusammenfassend von Bambara auf französisch übersetzt hat.

Nachtrag: Kurz nach dem Marsch wurde die Schleusen geöffnet und die völlig vertrockneten Felder erhielten Wasser, wie mir Mitglieder der bäuerlichen Basisgewerkschaft COPON berichteten.

Interview mit Beteiligten des Marsches

Interviewer: Hallo Basiriki

Bauer: Ah, hallo Abdoulaye

Interviewer: Viele von euch kommen heute Morgen auf diese Reisfelder, hat das positive Gründe?

Bauer: Nein, ganz und gar nicht, diese Felder sind seit langem ausgetrocknet, und wir, die Bauern und Bäuerinnen, sind gekommen, um diesen weiteren krassen Akt anzuprangern, der noch zur Sicherheitskrise [Belagerung durch Dschihadisten], die du ja auch kennst, hinzukommt. Ich lebe seit mehr als 50 Jahren hier und habe so etwas noch nie gesehen. Wir sind „Anbauer“, deren Eltern ins Office du Niger [als Zwangsarbeiter:innen] „gebracht“ wurden, um unser Leben aufzubauen und die malische Reisproduktion zu entwickeln.

Interviewer: Aber habt ihr die Angestellten des Office du Niger informiert, und Ihre Beauftragten, die oft mit diesen Fällen zu tun haben?

Bauer: Ja, wir haben sie informiert, und wie üblich gab es keine Antwort. Wir haben niemanden gesehen, der deswegen gekommen ist. Und deshalb sind wir hier alle zusammen, jeder für jeden, um die Kette der Solidarität auch mit den anderen Zonen des Office du Niger aufzubauen. Ja, überall baut sich der Druck auf, und morgen ist er in Buyo und entlang des gesamten großen Bewässerungskanals

Interviewer: Ha, die Situation wird wirklich kompliziert, sogar mehr als ernst…

Bauer: Das sind mehr als 300 ha, und hier ist alles ausgetrocknet. Zwischen Goma und K22 ist es noch trockener als hier. Auf einer Fläche von ca. 500 ha gibt es keine Spur von Wasser. Die Menschen haben nichts zu essen, denn auch die Gemüsefelder sind trocken, in dieser Zeit der Krise, die wir gerade erleben…

Interviewer: Ja, ich habe schon viel gehört, und es ist die Zeit des Mondes, der in der Wolke verborgen ist…

Bauer: Schau, das ist mein Daba, mein Arbeitsgerät, und es ist jetzt mehr als 3 Monate her, dass es den Boden hier berührt hat. Zu Hause gibt es nur noch ein paar Reiskörner, aber keine Gemüsestücke mehr.

Interviewer: Es ist also noch schlimmer, als ich dachte….

Der Redner dreht sich um und spricht eine Dame an.

Interviewer: Hallo Mama, du scheinst, diese ganze Misere überwinden zu wollen?

Bäuerin: Guten Morgen an alle. Ja, es stimmt, wir sind unterwegs, und ich spreche heute Morgen im Namen der Bäuerinnen von Dogofry…

Wir demonstrieren, um die internationale Gemeinschaft zu informieren und an die internationale Solidarität zu appelieren, damit die Menschen von unserer Situation erfahren und unsere verzweifelten Schreie hören. Denn wir werden gequält und unterdrückt. Unsere Felder sind verdorrt, du kannst diesen trockenen Reisklumpen sehen, es ist eine totale Katastrophe hier. Die Landwirtschaft ist der Grund dafür, dass wir in diesem Gebiet leben, in dem unsere Großeltern den Reis anbauten. Wenn man jemanden für eine Aufgabe ausbildet und ihn dann zur Arbeit schickt, ohne die nötige Ausstattung oder die Rechte, die mit seiner Verantwortung einhergehen, dann ist das nichts, und das ist die Wurzel der Probleme hier. Es ist eine Sünde, uns so zurückzulassen. Und Gott wird das Urteil über die staatlichen Mitarbeiter des Office du Niger fällen. Sehen Sie hinter mir, das ist unsere Bewässerungsquelle.

Interviewer: Ist das die Quelle, aus der Sie Ihre Gärten bewässern?

Bäuerin: Ja, das ist unser Abfluss, der uns Wasser aus dem Kanal bringt, und gibt es dort wirklich Wasser? Aber gibt es wirklich kein Wasser? Wie können wir so weiterleben?

Wir werden bedroht, angegriffen, vergewaltigt und geschlagen und niemand kommt uns zu Hilfe! Wir Frauen können nachts nicht schlafen, tagsüber brennen die Felder und es gibt kein Wasser mehr. Wo soll das alles enden? Wir zeigen der Welt das Unglück unserer Kinder und unsere Verzweiflung über das Leben, und dennoch kommt keine internationale Organisation, um unseren Schreien Gehör zu verschaffen. Nächtliche Schießereien, Angriffe und Gewalt gehören hier zum Alltag. Wir haben Krankheiten und es herrscht Hungersnot. Die Welt muss aufwachen, denn wir haben weder die Ressourcen noch die Mittel, um dem entgegenzuwirken. Und wenn es eine andere Erklärung gibt oder sie „etwas anderes“ über unsere Situation wissen, dann hebe ich meine Hände in die Luft und sage mit den Reisbüscheln „Hilfe“, weil wir unwissend sind. Dies sind meine Arme gen Himmel, das Symbol unserer Existenz und unserer Verbindung zur Erde. Das ist es, was wir sind, hilf uns in Gottes Namen!

Interviewer: Du machst diese Feststellung inmitten deiner Gärten und direkt neben dem Abfluss, der deine Felder speisen soll?

Bäuerin: Ja, das bin ich, und ich bitte dich, es zu veröffentlichen, damit alle Welt es sehen und hören kann. Ich danke dir für deine Bemühungen und ich danke Gott…

Interviewer: Auf Wiedersehen Mama und viel Glück im Kampf