09.05.2024 | Sicherheitslage im Sahel: Zahlen und (westliche) Diskurse
Vor einigen Wochen habe ich mit Verweis auf aktuelle Zahlen des ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) – einer in den USA ansässigen Notprofit-Organisation, die mittlerweile zur wohl wichtigsten Quelle für Statistiken zu bewaffneten Konflikten geworden ist (https://acleddata.com/africa/analysis/) – darauf hingewiesen, dass Mali im Jahr 2023 trotz verstärkter Kampfhandlungen einen Rückgang an Toten erlebt hätte, während in Burkina Faso die Zahlen steil nach oben gegangen seien. Diese mit einem ACLED-Säulendiagramm illustrierte Feststellung hat zu mehreren – gelinde gesagt – irritierten Reaktionen geführt. Denn meine Aussage stünde im Gegensatz zu den Schlussfolgerungen diverser Menschenrechtsreports, so die Kritik einiger Leser:innen. Mehrfach wurden zudem die Zahlen bzw. mein Umgang mit diesen angezweifelt. In diesem Sinne habe ich erneut die ACLED-Statistiken genau angeschaut – zusammen mit mehreren aktuellen Menschenrechtsreports zum Sahel, unter anderem von Human Rights Watch, Amnesty International und der UN. Und das wiederum ist der Grund, weshalb ich in diesem Text auf vier Aspekte näher eingehen möchte:
+++ Erstens die ACLED-Zahlen für Mali, Burkina Faso und Niger in aller Kürze vorzustellen (unterteilt nach zivilen Toten und Toten insgesamt),
+++ zweitens darzulegen, dass weder ACLED noch andere Menschenrechtsorganisationen (u.a. die UN in ihrem jüngsten Menschenrechtsreport zu Mali) diesen Zahlen sowie weiteren Erkenntnissen ernstlich gerecht werden,
+++ drittens – ausgehend von diesen Zahlen – einige Anmerkungen zum tendenziell irreführenden Begriff des „subjektiven Sicherheitsempfindens“ zu machen,
+++ und viertens anhand der beiden jüngsten Menschenrechtsberichte von Human Rights Watch und der damit korrespondierenden Medienberichterstattung auf einige Mängel des westlichen Sahel-Diskurses hinzuweisen.
Gleichzeitig möchte ich ausdrücklich betonen, dass es mir nicht um eine Gesamteinschätzung der Lage im Sahel geht. Hier bleibe ich (vorläufig) bei meiner unter anderem in den Blättern für deutsche und internationale Politik (https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/september/zeitenwende-im-sahel-der-putsch-in-niger-und-der-abzug-aus-mali) sowie in der taz (https://taz.de/Nach-drei-Jahren-Militaerregierung/!5974027/) getroffenen Einschätzung, wonach das Glas – je nach Land und Thema variierend – eher zweidrittel voll als zweidrittel leer ist, ohne jedoch eine abschließende Aussage darüber treffen zu wollen, ob sich die aktuellen Umbrüche als tatsächliche Durchbrüche für die Sahelländer oder Sackgassen erweisen werden. Nein, mir geht es im Folgenden einzig um eine Schärfung des Blicks, was den Umgang mit Zahlen und Zeug:innenaussagen (in Menschenrechtsreports, journalistischen Texten etc.) betrifft, einfach, weil mir diesbezüglich auf europäischer bzw. westlicher Seite eine zu laxe, mithin einseitige Interpretation zu dominieren scheint – in medialen genauso wie politischen, zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen.
1. OPERZAHLEN VON ACLED ZUR GEWALTESKALATION IM SAHEL
Auf der Webseite von ACLED kann man – aufgeschlüsselt nach Jahren und Ländern – die Daten unter anderem für getötete Zivilisten und Tote insgesamt in Tabellenform exportieren . In diesem Sinne möchte ich hier für Burkina Faso, Mali und Niger die Zahlen von 2019 bis 2023 sowie des laufenden Jahres bis einschließlich 19. April auflisten (die Zahlen können aber auch in den im Anhang mitgeschickten Listen selber nachgelesen werden, auch für alle anderen Länder und Jahre):
a) Burkina Faso:
+++ Tote Zivilist:innen im Zuge von Gewaltkonflikten:
2019: 1.348
2020: 1.076
2021: 762
2022: 1.418
2023: 2.392
2024: 935 (formal hochgerechnet auf das Gesamtjahr: 3.111)
Tote insgesamt im Zuge von Gewaltkonflikten:
2019: 2.216
2020: 2.299
2021: 2.360
2022: 4.232
2023: 8.493
2024: 2.067 (formal hochgerechnet auf das Gesamtjahr: 6877)
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b) Mali
+++ Tote Zivilist:innen im Zuge von Gewaltkonflikten:
2019: 876
2020: 961
2021: 531
2022: 2.232
2023: 1.965
2024: 705 (formal hochgerechnet auf das Gesamtjahr: 2.345)
+++ Tote insgesamt im Zuge von Gewaltkonflikten:
2019: 1.873
2020: 2.852
2021: 1.909
2022: 4.858
2023: 4.302
2024: 1.261 (formal hochgerechnet auf das Gesamtjahr: 4.195)
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c) Niger
+++ Tote Zivilist:innen im Zuge von Gewaltkonflikten:
2019: 202
2020: 420
2021: 765
2022: 366
2023: 418
2024: 139 (formal hochgerechnet auf das Gesamtjahr: 462)
+++ Tote insgesamt im Zuge von Gewaltkonflikten:
2019: 729
2020: 1.126
2021: 1.498
2022: 988
2023: 1.146
2024: 570 (formal hochgerechnet auf das Gesamtjahr; 1.896)
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d) Gesamtzahlen
Darüber hinaus sind die ACLED-Statistiken auch deshalb hilfreich, weil sie einen Gesamtüberblick erlauben. So sind von 2012 bis 2023 in Mali 20.930 Menschen, in Burkina Faso 20.088 Menschen und in Niger 5.457 Menschen im Zuge gewalttätiger Konflikte ums Leben gekommen, wobei die meisten Opfer zwischen 2019 und 2023 zu beklagen waren – auch als Ausdruck davon, dass die Konflikte in Burkina Faso und Niger zeitversetzt begonnen haben.
Gewiss, das sind bloße – hochgradig interpretationsbedürftige – Zahlen, zumal die von mir für 2024 formal hochgerechneten Werte de facto Spekulation sind – denn es könnten am Ende des Jahres in jedem der Länder mehr oder auch weniger Opfer zu beklagen sein. Gleichwohl bestätigen die nunmehr aufgelisteten Daten (und das war ja mein Ausgangspunkt), dass in Mali die Zahlen der zivilen Opfer sowie die aller Opfer von 2022 auf 2023 tatsächlich rückläufig waren, während es in Burkina Faso eine Verdoppelung gegeben hat. Wiederum anders in Niger: Hier ist das Gesamtniveau in den letzten Jahren deutlich niedriger gewesen als in den beiden Nachbarländern. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass in den ersten knapp vier Monaten von 2024 bei den Toten in Niger mehr Opfer als in den Vorjahren zu beklagen waren. Einiges spricht dafür, dass dies auf den einmal mehr intensivierten Antiterrorkampf zurückzuführen ist, der unter den Aufständischen mehr Opfer erfordert (denn die zivilen Toten sind im laufenden Jahr nur geringfügig gestiegen). Doch hier muss man abwarten, so wie solche Zahlen ohnehin ganz verschiedenes bedeuten können, wie auch die jüngst erschienene Analyse „Military Coups, Jihadism and Insecurity in the Central Sahel“ (26 Seiten: https://www.oecd-ilibrary.org/development/military-coups-jihadism-and-insecurity-in-the-central-sahel_522f69f1-en) von Alexander Thurston zeigt. So erläutert dieser (ohne irgendwelche Sympathien für die Militärregierungen im Sahel zu hegen) unter Verweis auf die ACLED-Zahlen, dass die größten Sprünge beim Anstieg der Opferzahlen nicht nach, sondern vor den Putschen erfolgt sind. Etwa in Burkina Faso, wo die Opferzahlen von 2018 auf 2019 um 634 Prozent gestiegen sind, während der Anstieg 2022 auf 2023 (d.h. im ersten Jahr des Putsches) bei 101 Prozent lag. Eine weitere Beobachtung von Thurston lautet, dass Opferzahlen auch von Kräfteverhältnissen abhängig sind. So sind in Mali in bestimmten Gebieten die Opferzahlen auch deshalb nach oben gegangen (auch die von Zivilist:innen), weil die malische Armee ihren Antiterrorkampf intensiviert hat (was nicht automatisch falsch, geschweige denn illegitim sein muss), während sie in anderen Gebieten unter anderem deshalb nach unten gegangen sind, weil dschihadistische Gruppen ihre Machtstellung konsolidiert haben, so geschehen seitens des Islamischen Staates (IS) in der gleich noch näher erwähnten Region Menaka im Südosten des Landes. Oder als Paradox formuliert: Hohe Opferzahlen können Ausdruck einer sich verbessernden Sicherheitslage sein, so wie sinkende Opferzahlen eine objektiv schlechter gewordene Sicherheitslage – in diesem Fall: die Hegemonie terroristischer Gruppen – zum Ausdruck bringen können.
2. PROBLEMATISCHE GESAMTEINSCHÄTZUNGEN ZUR SICHERHEITSLAGE IM SAHEL:
Lässt man die eben erwähnten Zahlen Revue passieren, müssen zahlreiche Einschätzungen erstaunen, nicht zuletzt der im Januar 2024 erschienene ACLED-Report „The Sahel: A Deadly New Era in the Decades-Long Conflict“ (https://acleddata.com/conflict-watchlist-2024/sahel/), der auf der Webseite als eine Art Flagship-Report zum Sahel präsentiert wird. Denn obwohl die eigenen Zahlen als Ausgangspunkt fungieren, ignoriert dieser die zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen den Sahelländern und gelangt so zu einem äußerst skeptischen Fazit hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage im Sahel als ganzem: „ACLED data illustrate the deteriorating security situation in central Sahel as the region hit another record year of violence. In 2023, the number of people killed by acts of political violence doubled in Burkina Faso, placing highest after Nigeria in West Africa. Across central Sahel, conflict fatalities from political violence increased by a staggering 38%, and civilian deaths by over 18%. Mali and Burkina Faso, most affected by the crisis, are categorized as experiencing high levels of violence in the latest update to the ACLED Conflict Index. High levels of violence in all three central Sahel states are likely to persist in 2024 as counter-insurgency efforts escalate to meet the insurgency’s increasingly aggressive tactics.“
Auch die in der ACLED-Analyse aufgestellte Behauptung, wonach zahlreiche Menschen in der Region Kidal in Mali wegen der dortigen Offensive der malischen Armee gegen seperatistische und/oder terroristische Kräfte geflohen wären, ist wenig überzeugend. Denn die von ACLED präsentierten Zahlen reichen von Dezember 2022 bis September 2023, während die Offensive der malischen Armee erst am 2. Oktober 2023 begonnen hat. Vorher gab es lediglich Konflikte im August um das von der UN-Friedensmission MINUSMA verlassene Lager in Ber, das aber in der Region Timbuktu liegt, rund 500 Kilometer entfernt von den betroffenen Orten in der Region Kidal. Wichtiger ist jedoch etwas anderes: ACLED spricht – unter Verweis auf UN-Zahlen (vgl. FN 5) – bei den Flüchtlingszahlen in der Region Kidal von einer Erhöhung um 116 Prozent. Das klingt beeindruckend und vor allem bedrohlich. Einen anderen Eindruck vermitteln indes die absoluten Zahlen: In knapp einem Jahr hat sich die Zahl von 6.116 auf 32.394 erhöht. Das sind gerade mal 0,14 Prozent der malischen Bevölkerung. Gemessen an den katastrophalen Auswirkungen des Konflikts auf die Gesamtgesellschaft (22.59 Mio) scheint mir das ein nachvollziehbarer Preis zu sein, den große Teile der malischen Gesellschaft für die Auseinandersetzung in der Region Kidal in Kauf zu nehmen bereit sind – und das umso mehr als die zwischen Seperatismus und Dschihadismus pendelnden Aufständischen nach Auskunft der International Crisis Group selbst im Norden kaum Unterstützung genießen (Oktober 2023: https://www.crisisgroup.org/africa/sahel/mali/nord-du-mali-une-confrontation-dont-personne-ne-sortira-vainqueur). Entsprechend sind auch die zugespitzten Aussagen in der ACLED-Analyse zu einer sich vermeintlich ständig verschlechternden Sicherheitslage in Mali mit Vorsicht zu bewerten – nicht nur im bereits zitierten Schlussabsatz, sondern auch in jenen Passagen, in denen (hochgradig suggestiv) von „Entvölkerung“ die Rede ist, was ja im Lichte weltweit stattfindender Massenvertreibungen sehr starke Bilder aufruft: „Ongoing military offensives are likely to continue, and FAMa and Wagner operations in Kidal led to the depopulation of several towns with tens of thousands of inhabitants having fled, many to neighboring Algeria.“ Die Städte, die konkret gemeint sind, sind überwiegend Kleinstädte bzw. große Dörfer wie Anefif (5000 Einwohner:innen), Adjelhoc (8.000 Einwohner:innen) oder Tessalit (5.700 Einwohner:innen), was seinerseits erklärt, weshalb der Konflikt glücklicherweise völlig andere Dimensionen aufweist als der Sudan, die Ukraine oder Gaza (ganz zu schweigen davon, dass viele Menschen die Offensive durchaus begrüßen, aber aus Sorge vor drohenden Kämpfen (vorübergehend) geflohen sind).
Ein ähnliches Muster ist beim bislang jüngsten UN-Bericht des Menschenrechtsbeauftragten für Mali, Alioune Tine, zu beobachten (file:///home/olaf/Downloads/A_HRC_55_79-EN-1.pdf), der Anfang April u.a. als Aufhänger für einen tagesschau-Artikel fungiert hat (https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/mali-nach-abzug-der-bundeswehr-100.html):
Der Bericht listet quer durch alle relevanten Bereiche dutzende schwere Menschenrechtsverletzungen auf. Das ist wichtig und lesenswert, weil jede Menschenrechtsverletzung eine zu viel ist. Und doch weist der Bericht einen fundamentalen Widerspruch auf: Einerseits beschränkt er sich auf besagte Einzelbeispiele, verzichtet also weitgehend auf gesamtgesellschaftliche Statistiken (lediglich in den Bereichen „Gender“ und „Sklaverei“ gibt es interessante Gesamtzahlen zu Phänomen wie Beschneidungen, Frühverheiratungen oder Menschen in subalternen Abhängigkeitsverhältnissen). Andererseits endet der Bericht – ähnlich wie die ACLED-Analyse – mit einer überwiegend negativen Trendaussage zur allgemeinen Sicherheitslage in Mali. Konkret ist die Rede von einer „rapid and ongoing deterioration of the security situation in almost all regions of Mali (the north, the centre and the south), where the Malian authorities seem not to have control and which are increasingly becoming arenas for power struggles among violent extremist groups, much to the detriment of civilians, who are the main victims and find themselves caught between a rock and a hard place.“ Das ist methodisch ein hochgradig fragwürdiges Vorgehen, zumindest gemessen daran, dass noch nicht mal in Ansätzen ein Versuch unternommen wird zu begründen, wie sich aus lauter Einzelfällen allgemeine Trends ablesen lassen sollen (was m.E. nur dann möglich wäre, wenn die Exemplarität der Fälle unter Berücksichtigung von Statistiken wie von ACLED gewichtend herausgearbeitet würde, anstatt einzig aus der schieren Fülle von Einzelbeispielen (die hintereinander aufgelistet buchstäblich „überwältigend“ wirken) relativ weitgehende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Problematischer noch: Dort, wo der Report zur Plausiblisierung dieses Rückschlusses Statistiken zitiert, ist das wenig aussagekräftig. Denn wie schon im ACLED-Report werden die entsprechenden Zahlen so präsentiert, dass sie gewaltiger wirken, als sie tatsächlich sind (was nicht zuletzt für die mediale Rezeption ein Problem darstellt). So heißt es gleich auf S. 3 des Berichts (Paragraph 8) – unter Verweis auf einen UN-Report von August 2023 (https://documents.un.org/doc/undoc/gen/n23/212/12/pdf/n2321212.pdf?token=qra0L17kB3nxh3gh5U&fe=true // Paragraph 63) –, dass der Islamische Staat im Sahel (IS) in weniger als einem Jahr das von ihm kontrollierte Gebiet verdoppelt habe. Das klingt natürlich dramatisch, vor allem, weil man gleich an das seinerzeit rasante Wachstum des IS in Syrien oder Irak denken muss (entsprechend oft wurde diese Aussage in den Medien zitiert). Guckt man indes genauer hin, handelt es sich um ein Gebiet, das zwar der Fläche von Bayern und Thüringen entspricht (86.000 km2), das aber gerade mal eine Bevölkerung von 300.000 Menschen aufweist (Schätzung für 2024 – auf der Basis des 2009-Census), was ungefähr 1,3 Prozent der malischen Bevölkerung entspricht [das sind grobe Schätzungen von mir – ausgehend von den im UN-Report genannten Kreisen, insbesondere dem Kreis Ansongo in der Region Gao sowie den Kreisen Tidermène, Inékar und Andéramboukane in der Region Ménaka (vgl. die neuen Regionen Malis seit Februar 2023: https://fr.wikipedia.org/wiki/R%C3%A9gions_du_Mali)].
Eine ähnlich suggestive Übertreibungsrhetorik liegt auf S. 4 in Paragraph 12 vor, der von internen Vertreibungen durch „tensions and clashes“ zwischen malischen Sicherheitskräften und dem seperatistischen Rebellenbündnis CSP (Cadre stratégique permant) in der Region Kidal spricht. Konkret sei die Zahl der Betroffenen zwischen April und September 2023 von 22.280 auf 32.394 gewachsen, also um 10.000 Menschen. Indem allerdings von einem Wachstum bei Vertriebenen von 45.39 Prozent die Rede ist, klingt das ungleich besorgniserregender, auch wenn ein Plus von 10.000 Menschen gerade mal 0,04 Prozent der malischen Bevölkerung entspricht.
Ein drittes Beispiel befindet sich in Paragraph 15, ebenfalls S. 4: Dort ist von Sprengfallen die Rede, die in der Region Ségou in den Kommunen Niono, Dogofry und Siribala zu starken Einschränkungen beim Zugang zu humanitärer Hilfe geführt hätten. Dass es in allen drei Orten entsprechende Anschläge gegeben hat, ist unstrittig, allerdings wird an diesem Beispiel auch deutlich, wie irreführend die bloße Aufzählung von irgendwelchen Anschlägen sein kann, wenn dies nicht gleichzeitig von Interviews mit lokalen Akteuren begleitet oder von statistischen Daten gerahmt wird. Denn wer mit Leuten aus diesen Orten spricht (was ich regelmäßig tue, weil die Bauerngewerkschaft COPON, mit der das von mir vertretene Netzwerk Afrique-Europe-Interact eng zusammenarbeitet, unter anderem in diesen Orten vertreten ist), kann erfahren, dass diese drei Orte aus Sicht ihrer Bewohner:innen mittlerweile wieder sichere Orte sind bzw. nie spezifisch unsichere Orte waren (was Niono und Siribala betrifft). Womit ich zur Frage des sog. „subjektiven Sicherheitsempfinden“ kommen möchte.
3. SUBJEKTIVES SICHERHEITSTEMPFINDEN
Die Formulierung des „subjektiven Sicherheitsempfinden“ hat im Kontext des Sahel eine eigenartige Karriere durchlaufen. Eigentlich möchte der Begriff darauf aufmerksam machen, dass das subjektive Sicherheitsempfinden von der objektiven Lage abweichen kann, oft dahingehend, dass die Menschen sich unsicherer fühlen, als das nötig wäre – etwa was eine überproportional große Angst vor Straßenkriminalität in größeren Städten betrifft. Doch im Sahel hat der Begriff in den letzten Jahren eine schleichende Umkehrung erfahren: Hier wird den Menschen von westlichen Beobachter:innen vorgehalten, dass sie die gesamtgesellschaftliche Lage rosiger darstellen würden, als es den Tatsachen entspreche. Und das wiederum habe, so das Argument, damit zu tun, dass sie den sogenannten Propaganda-Diskursen der Militärregierungen leichtfertig Glauben schenken und die realen Gefahren bagatellisieren würden – auch den Umstand, dass sich bestimmte Bevölkerungsgruppen durchaus massiv bedroht fühlten, etwa Angehörige pastoralistischer Gemeinschaften (insbesondere aus der Gruppe der Peulh), die als vermeintliche Parteigänger dschihadistischer Gruppen besonders häufig Opfer staatlicher Repression seien. Wie letzteres einzuordnen ist, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen – denn die in der Tat prekäre Situation pastoralistischer Gemeinschaften (die im Übrigen keineswegs identisch mit der Gesamtgruppe der Peulh sind) stellt nochmal ein ganz eigenes Thema dar, das bereits an anderer Stelle mehrfach diskutiert wurde.
Unterdessen ist die (in aller Regel) von westlichen Journalist:innen oder Wissenschaftler:innen aufgestellte These eines unrealistischen Sicherheitsempfindens bemerkenswert, häufig auch bevormundend oder chauvinistisch, jedenfalls dort, wo sie nicht mit konkreten Fakten unterfüttert wird, etwa dahingehend, dass Menschen in den Hauptstädten des Sahel die Sicherheitslage in anderen Landesteilen falsch einschätzen würden. Denn häufig werden in der westlichen Öffentlichkeit Aussagen lokaler Akteure im Sahel schlicht nicht ernst genommen oder unter den Generalverdacht gestellt, allenfalls die eigene (geographisch) partikulare Weltsicht zu repräsentieren, selbst dort, wo sie zu gewissen statistischen Trends passen (und das durch Personen, die meist noch nie einen Fuß in die entsprechenden Regionen gesetzt haben). Umso dringlicher erscheint mir, auf einige jener Aussagen aufmerksam zu machen, die insbesondere in Mali in den letzten 12 Monaten zu hören waren: Beispielsweise beschreiben viele Bauern und Bäuerinnen im Zentrum Malis, dass sie 2023/2024 wieder Felder bestellen konnten, die in den letzten 2 bis 3 Jahren aus Sicherheitsgründen Tabu waren, dass Märkte wieder erreichbar sind, dass Zwiebelpreise gesunken sind (weil wieder mehr Zwiebeln angebaut werden) oder dass sie nicht mehr Verwandte in der Hauptstadt nach finanzieller Unterstützung fragen müssten. Ganz ähnlich bei den Busverbindungen: Die zwischenzeitlich kaum befahrene Busstrecke Bamako-Ouagadougou-Niamey gilt wieder als gesichert, so wie Menschen wieder mit dem Bus von Gao und Timbuktu Richtung Süden fahren, was vor zwei oder drei Jahren noch undenkbar erschien, und in aller Regel auch nicht möglich war, weil Busunternehmen schlicht nicht bereit waren, ihre Fahrzeuge hierfür zur Verfügung zu stellen. Anstatt diese und viele weitere Erfahrungswerte zu ignorieren, wäre es also angebracht, ungleich abwägender vorzugehen und sich den ungleichzeitigen bzw. widersprüchlichen Entwicklungen zu stellen – also die verschiedenen Tendenzen abzubilden, geographische (oft kleinteilige) Unterschiede stärker zur Kenntnis zu nehmen (auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Bevölkerungszahlen) oder den Charakter der Übergriffe zu reflektieren (kleine oder große Angriffe, Banditentum oder Terrorismus etc). Just dies findet aber viel zu selten statt. Denn das dominante (von vielen Medien ventilierte) Narrativ lautet, dass die Situation in den Sahelländern (die ihre Sicherheitspartnerschaften diversifiziert haben und zunehmend auch mit Russland zusammenarbeiten) tendenziell immer schlechter würde. Und das mit dem eigenartigen Ergebnis, dass selbst relativ differenziert argumentierende Reports wie der von Alexander Thurston (s.o.) zu überwiegend ambivalenzfreien, ja dystopisch anmutenden Schlussfolgerungen kommen: „The current status and likely medium-term future of Mali, Burkina Faso and Niger is one wherein military juntas preside over skeletal states in an atmosphere of endemic and escalating violence. These states are skeletal not just in the sense of limited resources, but also in terms of the actual physical map of state control, where these rule major towns and some rural areas while ceding control over conflict zones to an array of armed actors, including jihadists. (…) Continued military dominance at the political centre is thus likely to be paralleled by continued and escalating jihadist violence. The key questions are whether jihadists will eventually attempt more systematic state-building, whether antijunta politics will trigger major political realignments between jihadists and other armed groups, and whether Sahelian violence will be fundamentally contained or will continue to spill over int West African coastal countries, perhaps even at a level not yet seen in the 2020-23 period (…).“ (S. 24)
Was mich zu meinem letzten Punkt bringt. Die Leichtfertigkeit, mit der Einschätzungen der lokalen Bevölkerung ignoriert oder abgetan werden, spiegelt sich auch – freilich unter umgekehrten Vorzeichen – in dem Umstand wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit Berichte westlicher Menschenrechtsorganisationen in der westlichen Öffentlichkeit ungeprüft übernommen werden, auch dann, wenn sie lediglich auf Telefoninterviews beruhen oder grundlegende Fragestellungen ausblenden bzw. hochgradig einseitig beantworten. Zwei Beispiele mögen das illustrieren.
4. DROHNENANGRIFF IN AMSKARAD IN DER NÄHE VON GAO (16.03.2024)
Am 18.03.2024 berichtete Radio France Internationale (RFI), dass es am 16.03.2024 einen Drohnenangriff in Amskarad – einem zentral gelegenen Dorf auf halber Strecke zwischen Gao und Kidal – gegeben habe, von dem die malische Armee sagt, dass Terroristen getötet worden seien, während RFI davon spricht, dass 13 Zivilist:innen (überwiegend Frauen und Kinder) aus der Tuareg-Gemeinschaft der Chamanamas Opfer geworden wären (https://www.rfi.fr/fr/afrique/20240318-mali-attaque-jihadiste-meurtri%C3%A8re-pr%C3%A8s-de-sikasso-bavure-de-l-arm%C3%A9e-%C3%A0-amasrakad-pr%C3%A8s-de-gao). Später haben auch Amnesty International (https://www.amnesty.org/fr/latest/news/2024/03/mali-des-frappes-de-drone-ont-tue-13-civils-dont-sept-enfants-a-amaskarad-region-de-gao/) und France24 (https://observers.france24.com/fr/afrique/20240423-drones-turcs-de-l-arm%C3%A9e-malienne-des-frappes-ciblent-les-civils) jeweils berichtet, auch auf Basis eigener Recherchen. Dass an diesem Tag Zivilist:innen ums Leben gekommen sind, dürfte unstrittig sein, auch wenn sich die malische Seite meines Wissens nicht mehr näher geäußert hat. Doch viele Fragen sind bis heute offen. Und müssen auch offen sein, wenn man bedenkt, dass lediglich Telefoninterviews stattgefunden haben, also keine Vorort-Recherchen, was aber notwendig wäre, wie man aus all jenen Prozessen weiß, in denen mutmaßliche oder tatsächliche Kriegsverbrechen untersucht wurden – ob in Afghanistan, Kongo, Ruanda oder Bosnien. Vor allem bleibt die Frage offen, wie es überhaupt zu diesem Angriff gekommen ist. Denkbar sind vor allem zwei Thesen: Die eine lautet, dass sehr wohl bewaffnete Gruppen vor Ort gewesen sind, die toten Zivilist:innen also unbeabsichtigter- oder billigenderweise (mit-)getroffen worden sind. Für ein solches Szenario könnte sprechen, dass der Ort laut eines RFI-Informanten eine Hochburg bewaffneter Gruppen sei – „une zone de concentration des groupes extrémistes“. Hinzu kommt, dass aus der Tuareg-Gemeinschaft der Chamanamas zahlreiche radikale Seperatisten stammen. Und das wiederum wird auch an der Feststellung eines befragten Zeugen deutlich, der bei France24 allen Ernstes davon spricht, dass Gao von malischen Regierungstruppen besetzt sei („c’est une des villes tenues par le gouvernement, ce même gouvernement qui nous a bombardés“). Denn wer die seit Jahrhunderten zu den Vorgänger-Staaten des heutigen Malis gehörige Stadt Gao als „besetzt“ bezeichnet, befindet sich in einem radikalen Antagonismus zum malischen Staat, ja vertritt eine Position, die von den allermeisten Menschen – auch von den allermeisten Tuareg – explizit nicht geteilt wird, wie auch an einem Interview mit dem einstigen MNLA-Gründer und heutigen MSA-Chef Moussa Ag Acharatoumane deutlich wird (https://www.jeuneafrique.com/1499999/politique/moussa-ag-acharatoumane-la-reprise-de-la-guerre-dans-le-nord-du-mali-incombe-a-la-cma/). Umso bemerkenswerter ist, dass derartige Überlegungen in den Berichten von Amnesty und France24 keine Erwähnung finden, d.h. es wird nicht gefragt, was Amskarad für ein Ort ist oder wer die am Telefon interviewten Leute sind. Es wird insofern auch nicht die Frage aufgeworfen, ob die Interviewten womöglich ein Interesse daran gehabt haben, nur zivile Opfer zu benennen, aber keine anderen. Es werden auch keine Widersprüche zwischen Zeugen:innenaussagen thematisiert, wie sie zwischen den von Amnesty International und France 24 Interviewten deutlich werden (etwa bezüglich des Besitzers eines bombardierten Autos oder der Frage, ob Verletzte ins Krankenhaus nach Gao gekommen sind oder nicht). Kurzum: Es findet in dem gesamten Bericht keine Beweiswürdigung statt, auch keine Prüfung des Werts der Zeug:innenaussagen, und somit all das nicht, was eigentlich zum Einmaleins seriöser Recherche gehören sollte. Doch damit nicht genug: Beide – France24 und Amnesty International – gehen sogar einen Schritt weiter: Sie behaupten nicht nur, dass ausschließlich Zivilist:innen getroffen wurden (ohne zu erklären, woher sie wissen, dass es keine anderen – bewaffneten – Opfer gab). Sie stellen auch fest, dass die Tötung der Zivilist:innen absichtlich erfolgt sei und schließen somit die zweite denkbare Erklärungsthese aus – nämlich die eines unbeabsichtigten Unfalls (d.h. eines Kollateralschadens, wie es mitunter heißt). Entsprechend wird von France24 eine Vertreterin von Human Rights Watch zitiert, die den Angriff ohne viel Federlesens als absichtsvoll bezeichnet, ohne indes einen konkreten Beweis anzuführen (in Gestalt irgendwelcher Indizien auf eine entsprechende Befehlskette): „Es gibt eine regelrechte Kampagne der Gewalt gegen die Bevölkerung im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus.“ („Il y a une vraie campagne de violence contre la population au nom de la lutte contre le terrorisme.“). Und das ist umso bemerkenswerter, als RFI bereits einige Tage nach dem Anschlag eine ganz andere Erklärung zustimmend (sic) präsentiert hat – unter Verweis auf eine Militärquelle in Bamako. Danach soll es sich um einen unbeabsichtigten Irrtum gehandelt haben (unabhängig von der Frage, ob bewaffnete Kämpfer vor Ort waren oder nicht): „En clair, il s’agirait d’une erreur de ciblage.“
5. HUMAN RIGHTS WATCH ZU MUTMAẞLICHEM MASSAKER IN BURKINA FASO AM 25.02.2024
In diesem Fall geht es um ein Massaker, welches die burkinische Armee laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch am 25.02.2024 in den Dörfern Nondin und Soro im Norden des Landes an 223 Zivilist:innen – darunter 56 Kindern – verübt haben soll (https://www.hrw.org/fr/news/2024/04/25/burkina-faso-larmee-massacre-223-villageois). Wie beim Drohnenangriff in Mali sehe ich keine Veranlassung, den Umstand in Frage zu stellen, dass an diesem Tag zahlreiche Zivilist:innen ums Leben gekommen sind. In Frage steht indes das Framing, also die Interpretation des Geschehens: War es eine von oben angeordnete oder zumindest geduldete Bestrafungsaktion (weil die Bewohner:innen von Nondin und Soro (angeblich) mit Terroristen kollaboriert hätten) oder war es Ausdruck von eskalierten Kampfhandlungen zwischen Terroristen und Sicherheitskräften, in deren Verlauf Zivilist:innen unbeabsichtigt oder mutwillig zu Schaden gekommen sind? Genau betrachtet, sind diese Fragen nicht abschließend beantwortet, denn den Recherchen von Human Rights Watch liegen gerade mal 23 in einem Zeitraum von vier Wochen geführte Telefoninterviews zugrunde. Ungeachtet dessen hält Human Rights Watch auch hier an seiner Grundthese einer absichtsvollen Tötung fest (deshalb die Rede vom „Massaker“), indem es auf die Telefoninterviews verweist. Geprüft wurden die Beziehungen zwischen den beiden Dörfern und terroristischen Gruppen freilich nicht – zumindest ist im Bericht von Human Rights Watch nichts entsprechendes zu lesen. Sollte es engere Beziehungen als die von den Zeug:innen geschilderten gegeben haben, würde das zwar weiterhin keine (summarischen) Hinrichtungen rechtfertigen, aber es ergäbe sich ggf. ein anderes Bild. Genauso wenig wird die These eines Befehls von oben überprüft. Es wird lediglich mit Verweis auf andere vermeintliche Massaker am 20.04.2023, am 05.11.2023 und am 19.12.2023 nahegelegt, dass die Sachlage klar sei, obwohl keinerlei Gespräche mit beteiligten Soldat:innen, verantwortlichen Offizieren, Politiker:innen, Staatsanwält:innen etc. geführt wurden. Just dies ist aber fragwürdig. Denn wie schon mit Blick auf den Drohnenangriff in Mali erwähnt: Zahlreiche Gerichtsprozesse haben in den letzten Jahren eindrücklich gezeigt, wie schwierig und langwierig (und manchmal auch unmöglich) es ist, Verantwortlichkeiten in Befehlsketten nachzuweisen, nicht selten auch deshalb, weil es sie schlicht nicht gab. Insofern liegt diesbezüglich ein eigenartiger Doppelstandard vor: Während sich hierzulande komplexe Gerichtsverhandlungen über Monate oder Jahre hinwegziehen – häufig mit hunderten Zeug:innen und dutzenden Gutachten (etwa der NSU-Prozess mit 430 Verhandlungstagen) –, gilt die Tötung von 233 Menschen in zwei abgelegenen Dörfern in Burkina Faso bereits nach 23 Telefoninterviews im Wesentlichen als aufgeklärt.
Und diese Eindeutigkeit hat sich auch in der westlichen Medienberichterstattung bemerkbar gemacht, die den Bericht von Human Rights Watch weitgehend übernommen hat: Beispielsweise hat ausgerechnet The Guardian – eigentlich Inbegriff von Qualitätsjournalismus – die Formulierungen und Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation 1:1 übernommen, inklusive Verweis auf russische Truppen, die im Bericht von Human Rights Watch gar keine Rolle spielen (https://www.theguardian.com/global-development/2024/apr/25/220-civilians-burkina-faso-human-rights-watch-killings-two-villages): „The mass killings have been linked to a widening military campaign to tackle jihadist violence and happened weeks after Russian troops landed in the west African country to help improve security.“ Etwas zurückhaltender die Deutsche Welle, die zumindest formell deutlich macht, dass sie „lediglich“ die Recherchen einer Menschenrechtsorganisation zitiert: „The massacres were reported to be the worst military abuses in the West African nation in nearly a decade, and seem to be part of an extensive campaign against civilians accused of cooperating with Islamist militants, HRW said.“ Doch realistisch betrachtet, dürften auch die Aussagen der Deutschen Welle als gesicherte Fakten wahrgenommen werden, was aber problematisch ist, unabhängig davon, ob man davon ausgeht, dass die Vorwürfe zutreffend sind oder nicht. Denn eigentlich wäre es Aufgabe zumindest der Medien gewesen, die Vorgänge ausgewogen darzustellen und unzweideutig aufzubereiten, was bekannt ist und was nicht. Und dieses Erfordernis kennt auch die burkinische Regierung, die meines Erachtens zu Recht kritisiert hat, dass Human Rights Watch offenkundig keine Anstrengung unternommen hat, die eigenen Zeug:innen dahingehend zu unterstützen, auch Zeugenaussagen bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zu machen, die ja ein Ermittlungsverfahren eröffnet hat (und wäre dies mit Unterstützung von Human Rights Watch geschehen, hätte sich das sicherlich auch positiv auf die Durchführung des Verfahrens ausgewirkt). Umso plausibler dürfte es aus Sicht des Staates gewesen sein, die „beteiligten“ Medien – unter anderem The Guardian, Deutsche Welle und TV5 Monde – für zwei Wochen mit einem Sende- bzw. Verbreitungsgverbot zu belegen. Ich selbst finde das nicht richtig, aber dieser Akt hätten vermieden werden können, wäre die internationale Berichterstattung anders – das heißt neutraler und inklusiver – ausgefallen. Und zwar nicht nur, weil dies üblichen Standards entsprochen hätte, sondern auch deshalb, weil es Voraussetzung dafür gewesen wäre, genauer verstehen zu können, was an jenem Tag passiert ist, der ein weiterer Tag in einem Krieg war, den dschiahdistische Terrorgruppen einer ganzen Gesellschaft und somit auch ihren aus jungen Menschen zusammengesetzten Sicherheitskräften aufgezwungen haben, ohne dass letztere über die Ausbildung, die innere Verfasstheit und die Ausrüstung verfügen würden, einen solchen asymmetrischen Krieg stets (sic) angemessen führen zu können, also so, dass die Menschenrechte aller geschützt werden, auch jener, die vermeintlich oder tatsächlich mit Terrorgruppen kooperieren – ob freiwillig oder gezwungenermaßen.