Die Multitude auf der Suche nach sich selbst. Stichworte zum Debattenmarathon zwischen Köln und Fürth
ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 477 / 17.10.2003
In diesem Jahr sind es vor allem das 6. Antirassistische Grenzcamp in Köln und die Aktionstage gegen das Abschiebelager Fürth gewesen, die hier zu Lande zum sommerlichen Polit-Spektakel eingeladen hatten. Im Mittelpunkt standen wie angekündigt Aktionen, aber auch die inhaltliche Auseinandersetzung kam nicht zu kurz. Debattiert und gestritten wurde um Grundlegendes, im Kern ging es um nicht weniger als die Multitude selbst.
Wer kämpft mit wem, gegen was bzw. wofür? Welche Kämpfe, Strategien und Forderungen gibt es, wie können sie gebündelt werden, passen sie überhaupt zusammen? Inwieweit gehen unterschiedliche (Entrechtungs-)Erfahrungen mit unterschiedlichen Widerstandsverständnissen und somit unterschiedlichen Prioritätensetzungen einher? Konkret kristallisierten sich zwei zentrale Fragestellungen heraus: 1. In welchem Verhältnis stehen, pointiert gesprochen, Flucht und Migration zueinander? 2. Erfordert der Kampf gegen rassistische Entrechtungen tatsächlich enge, ja trans-identitäre Bündnisse zwischen Flüchtlingen, MigrantInnen und Menschen ohne Flucht- und Migrationshintergrund – oder ist das lediglich ein überhöhter und obendrein nationalismusverdächtiger Anspruch?
Die Auseinandersetzung um diese und andere Fragen verliefen durchweg kontrovers, mitunter auch harsch und polemisch. Ob und wie es weitergehen wird, scheint derzeit völlig offen; unter anderem deshalb, weil in Köln einmal mehr sämtliche der Konflikte ausgebrochen bzw. sichtbar geworden sind, die sich noch im vergangenen Jahr in Gestalt mehrerer Camps Ausdruck verschafft hatten. (Vgl. ak 470)
Die Debatten rund um das Verhältnis von Migration und Flucht standen, darüber herrschte Einigkeit, absolut an; schließlich ist gerade im Vorfeld von Köln und Fürth immer wieder die Forderung erhoben worden, dass Antirassismus stärker als bislang Flucht und Migration als die beiden Seiten derselben Medaille betrachten müsse (Stichwort: Re-Ökonomisierung von Antirassismus).
Insbesondere kanak attak hat diesen Ball aufgenommen: Rassismus erzeuge „Stufen der Rechtlosigkeit“, wie es in einem fürs Kölner Camp verfassten Thesenpapier heißt. Flüchtlinge und MigrantInnen würden auf diese Weise hierarchisiert, was seinerseits mit den „differenzierten Herrschaftsbedingungen des aktuellen Kapitalismus“ korrespondiere. Der Kampf gegen Entrechtung und Illegalisierung dürfe sich jedoch nicht in defensiven Abwehrkämpfen z.B. gegen Abschiebungen oder Institutionen wie die IOM erschöpfen. Ansonsten kontrolliere „das rassistische Regime die Praxis der AntirassistInnen“ – und nicht umgekehrt. Angesagt sei statt dessen, so das kanak-operaistische Credo, offensiv am Alltagswiderstand von Flüchtlingen und MigrantInnen anzuknüpfen, d.h. an den ohnehin täglich offen und verdeckt ausgefochtenen Kämpfen für Rechte: für das Recht, überhaupt nach Europa zu kommen, hier zu bleiben, den Landkreis zu verlassen, eine eigene Wohnung zu nehmen, zu arbeiten, zu studieren, zu wählen etc. Die von kanak attak und anderen stark gemachte Kampagne für ein Recht auf Legalisierung sei in diesem Sinne auch keine Ein-Punkt-Kampagne. Vielmehr stelle sie einen „gemeinsamen Fluchtpunkt“ für jede Art von Widerstand dar. Sie ermögliche es, „offensiv zu werden von der politischen Perspektive aus, Rechte zu fordern, die wir uns längst nehmen“.
In ein gänzlich ähnliches Horn stieß Maurizio Ricciardi aus Bologna bei der zentralen Diskussionsveranstaltung in Fürth: Flucht und Migration seien keine Bewegungen der Angst, sondern Ausdruck subjektiver Entscheidungen. Nach Europa kämen in aller Regel die, die bereit seien, „mehr zu riskieren“ – gleichsam als „Lebensinvestition“ für ein anderes bzw. besseres Leben. Zur Verdeutlichung zitierte er einen Algerier, der seine abenteuerliche Migrationsgeschichte quer durch Europa als „Sportsakt“ tituliert hatte.
Erwartungsgemäß sahen das AktivistInnen von Flüchtlingsselbstorganisationen einigermaßen anders, namentlich von der Karawane, Brandenburger Flüchtlingsinitiative und The Voice. Bilder wie die vom „Sportsakt“ stießen auf nahezu einhellige, ja empörte Ablehnung. Immer wieder wurde demgegenüber für eine klare Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen votiert: „Flüchtlinge fliehen wider Willen, MigrantInnen mit Willen“, formulierte z.B. ein Aktivist von der Karawane unmissverständlich. Seitens The Voice hieß es: Sie hätten nichts gegen Arbeitsmigration, sie selbst seien aber aus (verfolgungs-)politischen Gründen hier – was auch der Grund dafür sei, dass Abschiebungen für sie eine ungleich größere Bedrohung darstellten als z.B. für MigrantInnen aus Polen. Ebenfalls zentral sei für sie, dass „jede Bewegung, ob Migration oder Flucht, auf die Zerstörung ihrer Heimatländer“ zurückverweise. Diese Einsicht ginge im derzeitigen Migrationshype regelmäßig verloren, was eine (ungewollte) Romantisierung von Migration nach sich ziehe. Schließlich bekundeten die Karawane und The Voice wenig Sympathie für das Projekt einer Legalisierungskampagne: Zum einen sähen sie keinen Grund, ihre Projekte und Kampagnen unter ein (vorgeblich) „offensives“ Überlabel zu stellen. Denn sie seien absolut überzeugt davon, dass z.B. die Residenzpflicht nur erfolgreich bekämpft werden könnte, so denn sie auch tatsächlich als solche negativ markiert und dadurch offensiv (sic) skandalisiert würde. Zum anderen sei es reichlich unrealistisch, eine Kampagne aufzuziehen, die sich maßgeblich auf einen allenfalls in Ansätzen politisch artikulierten Alltagswiderstand stützen wolle. Der Kampagne fehlten die Subjekte, das Konzept sei nicht in den hiesigen Realitäten geerdet.
Dieser argumentative Patt wurde unterschiedlich interpretiert: Während einige lediglich Halsstarrigkeit oder eitles Hegemonial-Gehabe unter den DiskutantInnen ausmachen wollten, plädierten andere (so auch der Autor dieses Artikels) für eine ausdrücklich politische Lesart: Danach seien die unterschiedlichen Widerstandsverständnisse Ausdruck unterschiedlicher Subjektivitäten und Authentizitäten, die ihrerseits Produkte unterschiedlicher Positioniertheiten im System rassistischer und anderer Entrechtungen wären. Die zu Tage getretenen Differenzen müssten also politisch übersetzt werden, nur so könne sich die Multitude, dieses Ensemble heterogener Subjektivitäten und Authentizitäten, zum politisch interventionsfähigen Subjekt weiterentwickeln. Konkret wurde die von kanak attak und anderen promotete Legalisierungskampagne als zu formell kritisiert. Es genüge nicht, unter der Überschrift „Widerstand“ und „Stufen der Entrechtung“ eine Riesenklammer aufzumachen, innerhalb derer sämtliche antirassistischen Projekte offensiv zur Geltung gebracht werden könnten. Es käme vielmehr darauf an, die unterschiedlichen (Entrechtungs-)Erfahrungen und somit Subjektivitäten politisch aufeinander zu beziehen – als integralen Bestandteil alltäglicher Widerstandskultur.
So wäre es beispielsweise notwendig, die in Köln ständig aufgeworfene „Eisberg“-Frage zu thematisieren: Wie könne damit umgegangen werden, dass immer wieder bestimmte, besonders dramatische Einzel-Abschiebungen verhindert werden müssten, dass diese Fälle umgekehrt jedoch nur die Spitze eines riesigen Eisbergs darstellten und deshalb nicht permanent alle Energien auf sich ziehen dürften? Wie widersprüchlich und kompliziert diese Frage ist, machte das diesbezügliche Statement einer illegalisierten Hausarbeiterin aus Berlin deutlich: An die Karawane gewandt, fragte sie, worin denn der Unterschied läge, als Illegalisierte im Großknast Deutschland zu leben oder als Häftling im Abschiebeknast selbst. Mit anderen Worten: Mehr als bisher (hieß es) müssten sich alle AktivistInnen bemühen, ihre unterschiedlichen Widerstandverständnisse vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungshorizonte transparent zu machen. Einzig so könne Schritt für Schritt ein schlagkräftiges Multitude-Wir entstehen, dessen Stärke gerade darin bestünde, heterogene Subjektivitäten unter einem spannungsgeladenen, d.h. trans-identitären „Dach“ zu vereinen.
Sowohl in Köln als auch in Fürth wurde von unterschiedlichen Leuten darauf aufmerksam gemacht, dass eine in der Differenz als Ausgangspunkt verankerte Strategie drohe, der identitären Vertiefung von Differenzen Vorschub zu leisten. Denn ein widerständiges Multitude-Wir ginge nur aus der gemeinsamen Erfahrung praktischer Kämpfe und Kampfzyklen hervor, nicht jedoch aus abstrakten Kommunikationsrunden. Offen blieb, ob nicht genau dieses Kriterium in Köln und Fürth erfüllt wurde.
Ein weiterer Diskussionsstrang ergab sich aus einem u.a. von kanak attak gehegten Verdacht: Danach seien prekär sowie irregulär beschäftigte MigrantInnen für zahlreiche Linke die neuen ExotInnen. Sie würden voyeuristisch begafft und bestaunt, ein abermaliger Paternalismus stünde ins Haus. Das würde auch daran deutlich, dass in der Debatte rund um „Arbeit und Migration“ die soziale Positioniertheit insbesondere von Menschen ohne Flucht- und Migrationshintergrund weitgehend unmarkiert bleibe. Allein, in der anschließenden Debatte zeichnete sich ab, dass die meisten mit der Thematisierung von Arbeit und Migration sehr wohl eine prinzipielle und somit allgemeine Kritik kapitalistischer Arbeitsverhältnisse verbinden. Einmal mehr half in dieser Frage der vor allem in Fürth immer wieder hergestellte Blick nach Italien. Dort würde die soziale Lage von MigrantInnen und Flüchtlingen nicht zuletzt unter paradigmatischen Gesichtspunkten betrachtet: Sie stelle „das dramatischste Beispiel des Gespenstes der Illegalität, der radikalen Verweigerung des Anrechts auf Rechte“ (Sandro Mezzadra) dar. Sie verkörperte also einen Trend, der im Zuge von Deregulierung und Prekarisierung immer mehr Menschen weltweit betreffen würde. Antirassistische Fragestellungen seien deshalb stärker als hier zu Lande mit sozialen verkoppelt, was sich auch in der Art, Größe und Entschlossenheit dortiger Kämpfe widerspiegele.
Die zweite große Debatte dieses Sommers rankte sich ebenfalls um unterschiedliche Bündnisstrategien, Schwerpunktsetzungen etc. Sie war, wenn auch mit anderen Vorzeichen, eine Neuauflage des Konflikts, der sich bereits vergangenes Jahr anlässlich des Grenzcamps in Jena und der Land-in-Sicht-Tage in Hamburg entwickelt hatte. Stein des Anstoßes war ein Bündel äußerst bissiger und polemischer Äußerungen, die einer der zentralen Land-in-Sicht-MacherInnen während eines Plenums unter anderem in Richtung The Voice vom Stapel gelassen hatte. AktivistInnen sämtlicher in Köln vertretener Flüchtlingsselbstorganisationen haben diese Äußerungen als rassistisch empfunden. Sie forderten, das für Donnerstag vorgesehene Zwischenplenum um einen Tag vorzuziehen, was auch geschah. Sowohl dort als auch in der täglich erschienen Campzeitung campensin@ sowie zahlreichen informellen Gesprächen wurde alsbald mit vollem Einsatz diskutiert und gestritten. Konkret bewegte sich die Debatte auf drei Ebenen:
a) Zentraler Zankapfel ist weiterhin die aus dem Jenaer Grenzcamp hervorgegangene Programmatik gewesen: Danach sei Rassismus ein komplexes System fein abgestufter Ein- und Ausschlussmechanismen, die auf Trennung, Entrechtung und Hierarchisierung abzielen würde. Die Auswirkung solcher rassistisch strukturierten Ein- und Ausschlüsse seien auch auf dem antirassistischen Feld spürbar. Angesagt sei deshalb, die rassistisch produzierten Trennungen durch gezielte Kooperationsbemühungen zwischen Flüchtlingen, MigrantInnen und Menschen ohne Flucht- und Migrationshintergrund zu durchbrechen. Langfristig ginge es um die Herausbildung eines trans-identitären bzw. hybridisierten Wir’s (siehe oben). Neu sei hieran laut so genanntem Jena-Flügel weniger die Position selbst als vielmehr der Umstand, dass in der Zwischenzeit zahlreiche Erfahrungen in Sachen intensivierter Kooperation hätten gesammelt werden können. So habe es mit Fürth ein direktes und gemeinsam getragenes Jena-Nachfolge-Projekt gegeben.
Außerdem hätten seit Jena zahlreiche, in Köln auch dokumentierte Diskussionsprozesse stattgefunden. Praktisch sei hieraus für das Kölner Camp zweierlei hervorgegangen: Zum einen die gemischt vorbereitete blue-silver-Innenstadtaktion gegen rassistische Polizeikontrollen; zum anderen der Sachverhalt, dass die vom bundesweiten Vorbereitungstreffen ins Leben gerufene und von Leuten aus dem so genannten Jena-Flügel realisierte „Ansprechgruppe im Falle sexistischer Übergriffe“ eine gemischte refugee/non-refugee-Gruppe gewesen sei.
Wie schon in den vergangenen Jahren hat es hierauf seitens des so genannten Hamburg-Flügels so gut wie keine inhaltliche Reaktion gegeben. Lediglich in einem in der campensin@ veröffentlichten Beitrag heißt es, dass die Bezugnahme auf Kategorien wie „Flüchtling“, „ArbeitsmigrantIn“ oder „Deutsche/r“ Gefahr laufe, soziale, „nach herrschaftsförmigen Kriterien“ gebildete Konstruktionen zu vertiefen. Allerdings wird bereits im nächsten Satz dieser Einwand mit einem waschechten Jena-Argument relativiert: „Andererseits sind sie (die Konstruktionen) Ausdruck gesellschaftlicher Realität und prägen unterschiedliche Erfahrungen, die wir beachten wollen.“
Stattdessen wurden in Köln zwei weitere Konfliktfelder eröffnet, so auch im bereits zitierten campensin@-Beitrag: Zum einen bestünde „Uneinigkeit darüber, ob Antirassismus unsere Identität ausmacht … oder in einer Auseinandersetzung steht mit anderen Auseinandersetzungs- und Praxisfeldern“. Zum anderen wird einmal mehr auf das grundsätzliche Recht gepocht, auch ohne MigrantInnen oder Flüchtlinge intervenieren zu können. Klipp und klar heißt es: „Wir müssen nicht mit Flüchtlingen zusammenarbeiten.“ Beide Überlegungen blieben nicht unwidersprochen: Die ursprünglich von Teilen des so genannten Hamburg-Flügels vorgenommene Alternative „AntirassistIn-Sein vs. Autonom-Sein“ sei schlechte Fiktion, sie bestünde in dieser Form nicht! Das zeigten der Kölner Aufruf genauso wie die auf dem Auftaktforum geführten Debatten hinlänglich. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass vereinzelte Stimmen anderes von sich gegeben hätten – im übrigen unter absolut spärlichem Applaus. Was den vorgeblichen Imperativ des „Müssens“ betreffe, so wurde immer wieder hervorgehoben, dass selbstredend kein Mensch irgendetwas „müsse“. Worum es vielmehr ginge, seien programmatische Eckpunkte und die prinzipielle Bereitschaft, diese auch umzusetzen. Was das an täglicher Herausforderung mit sich bringen könne, führte ein Aktivist von The Voice eindrücklich vor Augen: The Voice sei als nigerianische Gruppe gegründet worden, hätte sich dann zum Forum afrikanischer Flüchtlinge weiterentwickelt und sei heute prinzipiell offen für Flüchtlinge aus allen Ländern und Kontinenten. In ihrer Arbeit müssten sie permanent größte Differenzen hinsichtlich Sprache, Religion, sozialem und kulturellem Hintergrund etc. überbrücken. Für ihn sei das die direkte Konsequenz aus einer sich immer stärker auch von unten globalisierenden Welt.
b) Auf einer zweiten Ebene drehte sich die Debatte um die Kritik, die unter anderem Teile des so genannten Hamburg-Flügels schon seit mehreren Jahren an The Voice üben. Danach agierten AktivistInnen von The Voice „machtorientiert und strategisch“. Als „geschulte Redner“ würden sie „auf dem schlechten Gewissen von AntirassistInnen surfen“, einzig um „KampagnensoldatInnen“ – so das geflügelte Wort, für ihre eigenen Projekte zwangsrekrutieren zu können. Demgegenüber zeigten aus Sicht der Nicht-Flüchtlinge des so genannten Jena-Flügels gerade die vergangenen eineinhalb Jahre, wie erfahrungsarm die in Köln erneut im massiven Tremolo artikulierte Kritik tatsächlich sei. Vorgeschlagen wurde deshalb ein Perspektivwechsel um 180 Grad: AktivistInnen von The Voice zeichneten sich dadurch aus, das Bild vom armen Opfer-Flüchtling gerade nicht zu bedienen. Sie wüssten, was sie wollten, seien selbstbewusst, hartnäckig und verbindlich. Auch verstünden sie es, immer wieder das globale Ausbeutungsverhältnis zum Thema zu machen. Alles das machte sie zu auseinandersetzungsfreudigen, kantigen und manchmal störrischen ZeitgenossInnen, unterm Strich also zu attraktiven BündnispartnerInnen auf gleicher Augenhöhe.
c) Auf einer dritten Ebene ging es schließlich um die von vielen Flüchtlingen als rassistisch empfundenen Äußerungen selbst. Aus dem Versuch herauszubekommen, was denn wirklich gesagt worden wäre, hat sich indes eine völlig eigene Dynamik entwickelt. Noch im Laufe des Mittwoch-Plenums wurden Stimmen laut, wonach die ganze Debatte eine „knallharte Ausschlussdiskussion“ wäre. Ablesbar sei dieser Hang zur „autoritären Formierung“ unter anderem an der positivrassistisch motivierten Bereitschaft vieler PlenumsteilnehmerInnen, den eingangs gemachten Rassismus-Vorwurf mit „lautem Beifall“ abzunicken. Andere widersprachen dieser Deutung vehement. So habe lediglich eine Person in zwei Beiträgen die Möglichkeit eines Ausschlusses in Erwägung gezogen – ohne jede Zustimmung durch das Publikum. Außerdem sei vieles der Dynamik hausgemacht: Die Wahrnehmung der AktivistInnen aus den unterschiedlichen Flüchtlingsselbstorganisationen sei gleich von Beginn an als „unverschämt“ abgekanzelt worden, Antworten auf Fragen seien keine erfolgt (was von mehreren als entwürdigend erlebt worden wäre), kurz, es habe schlicht an Respekt und Aufklärungsbereitschaft gemangelt. Die verfahrene Situation konnte in Köln nicht mehr eingefangen werden, geblieben sind statt dessen politische und persönliche Enttäuschungen auf beiden Seiten.
Zu guter Letzt eine erfreuliche Nachricht. In Fürth sind ca. 400 Leute gewesen, davon mehr als ein Drittel Flüchtlinge. Vor diesem Hintergrund hat die Debatte um den immer wieder zitierten Woomera-Slogan „How is your liberation bound up with mine?“ in Fürth einen gänzlich anderen Verlauf genommen als in Köln. Daran wird auf jeden Fall anzuknüpfen sein.
Olaf Bernau – alias Gregor Samsa