Die Klimakatastrophe ist längst da. Brennpunkt Sahel – oder wie Europa seine Wohlstandsinteressen verteidigt
Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (06. Dezember 2019)
Anfang der 1970er Jahre erlebten die Länder des Sahel die schlimmste Dürre im 20. Jahrhundert, 1984 und 1985 spitzte sich die Lage erneut zu. Allein während der ersten Trockenphase erhielten eine Million Menschen Nahrungsmittel aus dem Ausland, Hunderttausende starben, Zehntausende wurden zu Geflüchteten. Zudem fielen rund Zweidrittel der 64 Millionen Nutztiere der Hitze und dem Wassermangel zum Opfer, und das in einer Region, in der bis heute größere Teile der Bevölkerung von der Viehwirtschaft leben. Lange galten Überweidung und übermäßiger Holzeinschlag als Auslöser der Krise: Durch den geringeren Baum- und Buschbestand sei weniger Wasser verdunstet, was nicht zuletzt die Regenmenge reduziert habe. Heute hingegen spricht aus Sicht der Klimaforschung vieles dafür, dass die beiden Jahrhundertdürren die ersten Effekte des menschengemachten Klimawandels waren.
All das, was damals noch unverstanden war, wird mittlerweile durch umfassende Forschungsergebnisse untermauert: Zwischen 1970 und 2010 ist die Temperatur im Sahel mit 0,6 bis 0,8 Grad schneller als im weltweiten Durchschnitt gestiegen, erwartet werden derzeit mindestens 4 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Umgekehrt haben die Niederschläge zwischen 2000 und 2009 zwischen 8 und 15 Prozent abgenommen. Doch nicht nur das: Auch die Niederschlagsmuster verändern sich: Die Regenzeit wird kürzer, es regnet unregelmäßiger, zudem kommt es immer öfter zu sintflutartigen Regenfällen mit anschließenden Überschwemmungen. Kein Wunder also, dass sich die Ackerbaugrenze im Sahel seit 1970 um 100 Kilometer nach Süden verschoben hat.
In der öffentlichen Debatte ist meist von „Klimawandel“ die Rede. Sachlich ist das zutreffend. Gleichwohl sollte nicht aus dem Blick geraten, dass es aus der Perspektive der Betroffenen um handfeste Katastrophen geht. Was das praktisch bedeutet, haben zahlreiche Mitglieder der bäuerlichen Basisgewerkschaft COPON erfahren, die sich 2014 im Rahmen von Afrique-Europe-Interact in Mali gegründet hat. Denn Ende Juli ist es in mehreren Ländern des Sahel tagelang zu heftigen Regenfällen gekommen, auch in der Bewässerungsregion des Office du Niger, wo die COPON verankert ist. Folge war, dass unter anderem das Dorf Markabassy nahezu vollständig überflutet wurde – und das mit dramatischen Konsequenzen: Dutzende Lehmhäuser sind zusammengebrochen; 170 Familien mussten fliehen; Vorräte, Felder und Reiskulturen wurden zerstört, Außerdem hat das in der Regenzeit ohnehin hohe Malariarisiko einmal mehr zugenommen. Umso schlimmer, dass das Dorf und die umliegenden Felder noch Ende November auf einer Länge von 2,5 Kilometer überschwemmt waren. Auch deshalb betonen die älteren Mitglieder der COPON, dass sie derart heftige Regenfälle noch nie erlebt hätten.
So wichtig es ist, den Klimawandel als Ursache zu benennen, so falsch wäre es, andere Ursachen auszublenden: Markabassy wird von den Feldern mehrerer Großgrundbesitzer umgeben – unter ihnen ein Minister, ein General und ein hoher Landwirtschaftsfunktionär. Diese haben allerdings ihre Entwässerungskanäle nicht vorschriftsmäßig gebaut. Mit der Konsequenz, dass überschüssiges Wasser Richtung Markabassy ablief, was wiederum deshalb möglich war, weil Markabassy in einer Senke liegt. Offiziell dürfte es hier gar kein Dorf geben, aber die Behörden haben nie ernsthaften Einspruch erhoben oder alternative Flächen zur Verfügung gestellt. Im Gegenteil: Sie haben Steuern und Wassergebühren kassiert, ohne jedoch das Dorf mit Deichen zu schützen. Dies verweist auf einen dritten Skandal: Selbst dort, wo Entwässerungskanäle existieren, ist ein problemloser Ablauf des Wassers keinesfalls garantiert. Denn oftmals werden die Kanäle nur unzureichend gereinigt, gerade jene, für die die staatliche Verwaltung zuständig ist. Folge ist, dass bei Starkregen die Kanäle vielerorts über die Ufer treten und die Situation verschärfen – ein Effekt, der sich auch bei den aktuellen Überschwemmungen bemerkbar gemacht hat.
Insgesamt zeigt das Beispiel von Markabassy, wie wichtig es ist, die Auswirkungen des Klimawandels stets unter Berücksichtigung weiterer Aspekte zu betrachten. Dies gilt auch für die Konflikte zwischen Viehhirten und Ackerbauern im Sahel, über die in den letzten Monaten viel berichtet wurde. Denn Konkurrenz um Boden und Wasser ist keineswegs neu. Neu ist jedoch, dass die traditionellen Konfliktklärungsmechanismen nicht mehr greifen: Erstens, weil sich die Lage im Zuge von Bevölkerungswachstum und Ausweitung der Wüste immer stärker zuspitzt. Zweitens, weil sich immer mehr bewaffnete Milizen bilden, um die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen durchzusetzen, nicht selten unter islamistischer Flagge (vgl. S. 3.). Drittens, weil die Regierungen der Sahelländer ihren grundlegenden Aufgaben wie die Bereitstellung von Bildung oder Gesundheitsversorgung allenfalls eingeschränkt nachkommen und daher jede Autorität als Ordnungsmacht in den letzten 20 Jahren eingebüßt haben.
Und Europa? Europa tut so, als ob es mit all dem nichts zu tun hätte. Weder mit den ökonomischen und politischen Verwerfungen in zahlreichen afrikanischen Ländern (vgl. S. 2) noch mit dem Klimawandel. Gerade Deutschland gefällt sich immer wieder in der Rolle des vermeintlichen Vorreiters in puncto Klimaschutz, obwohl es mit einem jährlichen Ausstoß von ca. 11 Tonnen CO2 pro Kopf weiterhin einen Spitzenplatz im europäischen Vergleich innehält. Die fehlende Bereitschaft, aus der längst eskalierten Klimakatastrophe ernsthafte Schlussfolgerungen zu ziehen, ist Ausdruck eines europäischen Wohlstandschauvinismus. Deutlich wird, dass insbesondere die konsumstarken Mittel- und Oberschichten den eigenen Komfort höher veranschlagen als die soziale Lage jener Menschen im Süden des Globus, die ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand stehen. Umso wichtiger ist, es, praktisch zu werden: Afrique-Europe-Interact hat für die COPON-Mitglieder in Markabassy im September eine Spendenkampagne gestartet. Doch das ist nur ein erster Anfang. Nötig ist vielmehr, mit Hochdruck all jene Maßnahmen rasch anzugehen, die auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Gesellschaft notwendig sind – ganz gleich, welche gesamtgesellschaftlichen Umbaumaßnahmen dies schlussendlich erfordert. Zudem müssen all jene, die bereits jetzt vom Klimawandel betroffen sind, bei der Anpassung an den Klimawandel ernsthaft und nachhaltig unterstützt werden (vgl. hierzu auch nebenstehenden Artikel).
Die Mitglieder der COPON haben zwei Videos von den Überschwemmungen erstellt, die beide mit deutschen Untertiteln auf unserer Webseite abrufbar sind.