02.08.2023 | Zirkuläre Mobilität statt Abschreckung. Die EU-Migrationspolitik sollte reale Alternativen zur Abschreckung ins Auge fassen. Das heißt: zirkuläre Mobilität aus Afrika zu erlauben.

Erschienen: taz, 02.08.2023 (unter der etwas irreführenden Hauptüberschrift „Grüne sind nicht der Gegner“)

Zu Recht wird derzeit massive Kritik an der geplanten EU-Asylreform geübt, ist doch eine abermalige Verschärfung der ohnehin dramatischen Situation auf den Migrationsrouten zu befürchten. Dies umfasst nicht nur die nahezu täglichen Bootsunglücke oder Folterlager in Libyen.

Auch die Situation in der Wüste wird immer prekärer, vor allem im Niger, dem wichtigsten Transitland für Mi­gran­t:in­nen aus West- und Zentralafrika: Dort wurde auf Druck der EU 2015 ein Gesetz verabschiedet, das die bis dahin völlig legalen Dienstleistungen für Mi­gran­t:in­nen unter Strafe stellt: Viele der über Nacht zu Kriminellen erklärten Transporteure, Hos­tel­be­trei­be­r:in­nen oder Händ­le­r:in­nen büßten ihre Existenzgrundlagen ein, die Wüstendurchquerung wurde lebensgefährlich, und in Agadez hat sich die Bevölkerung durch hängengebliebene und rückgeschobene Mi­gran­t:in­nen binnen weniger Jahre mehr als verdoppelt.

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16. und 23.06.2023 | Radio-Interviews zur EU-Migrationspolitik (SWR und DFL Kultur)

Zweimal hatte ich im Juni 2023 die Möglichkeit, in ca. 5 minütigen Radio-Interviews kritisch zur restriktiven EU-Migrationspolitik Stellung zu beziehen – einmal im SWR und einmal bei Deuschlandfunk Kultur:

Flüchtlingspolitik: „Die EU tut das Falsche“. Interview beim SWR, 16.06.2023

Weltflüchtlingstag – Kontingente statt Zäune: Interview in Deutschlandfunk Kultur, 23.06.2023

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Migrant*innen erheben die Stimme. Während Marokko seine Migrationspolitik neu ausrichtet, organisieren sich die Geflüchteten – trotz der Repression, der sie bis heute ausgesetzt sind.

Südlink 187 – März 2019

Seit Anfang der 1990er Jahre ist Marokko ein Hotspot für Migrant*innen. War das Königreich für Flüchtende aus Westafrika lange Zeit nur Transitland auf dem Weg nach Europa, suchen viele von ihnen inzwischen eine Perspektive in dem Maghreb-Land. Die Migrant*innen-Organisation ARCOM konnte sogar ein Rasthaus für Frauen gründen. Die Geschichten seiner Bewohnerinnen zeigen, wie wichtig es ist.

Eine der markantesten Hinterlassenschaften spanischer Herrschaft in Nordafrika sind die autonomen Städte Ceuta und Melilla. Beide gehören zu Spanien, liegen aber an der marokkanischen Mittelmeerküste. Bis Anfang der 1990er Jahre verwies lediglich ein Grenzstein auf die Existenz zweier Länder. Es war die Zeit, als Marokkaner*innen noch visafrei nach Spanien einreisen konnten. Heute hingegen sind Ceuta und Melilla von einem sechs Meter hohen Doppelzaun umgeben. Dieser soll verhindern, dass Migran*innen aus Nord- und Subsahara-Afrika die Städte betreten und somit quasi automatisch aufs spanische Festland weiterreisen können. Entsprechend kommt es an den Zäunen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Migrant*innen und marokkanischer beziehungsweise spanischer Polizei – regelmäßig auch mit Schwerverletzten und Toten.

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Brutaler Abschreckungskrieg. Wie das EU-Grenzregime selbstbestimmte Entwicklung von unten sabotiert

Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (6. Dezember 2018)

Im Mai 2018 erhielt die Familie unserer malischen Mitstreiterin Djeneba Kanté einen Anruf aus Libyen: Ihr Sohn Mamadou sei von Unbekannten zusammen mit drei weiteren Migranten entführt worden, für seine Freilassung würden 15.000 Euro gefordert – eine gewaltige Summe, gemessen an einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 56 Euro in dem westafrikanischen Land. Doch Djeneba Kanté setzte alle Hebel in Bewegung: Die Familie veräußerte ihre spärlichen Besitz, darunter eine Parzelle und mehrere Tiere. Auch ein in Südspanien als Erntehelfer tätiger Sohn steuerte mit Hilfe von Freund_innen einen beträchtlichen Teil zum Lösegeld bei.

Umso schockierter zeigte sich die Familie, als Mamadou zunächst nicht freigelassen, sondern weiterverkauft wurde. Erst die neuen Entführer merkten, dass seine mit Eisendraht wochenlang gefesselten Hände bereits am Absterben waren – der Geruch verfaulten Fleisches muss fürchterlich gewesen sein. Nach seiner Freilassung wurde Mamadou vom Roten Kreuz nach Bamako ausgeflogen, seit dem befindet er sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Ob er je wieder mit seinen Händen arbeiten kann, ist noch völlig unklar.

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Europäische Flüchtlingspolitik: Externalisierung

Vortrag von Olaf Bernau beim Fachtag „Kein Asyl in Europa. Die Systematik Europäischer Flüchtlingspolitik“ (06.09.2018 in Hannover)

1. Vorbemerkung:

Der vorliegende Text ist das Skript für meinen frei gehaltenen Vortrag unter dem Titel „Europäische Flüchtlingspolitik: Externalisierung“. In diesem Sinne sei darauf hingewiesen, dass die Inhalte dieses Skripts zwar gerne weiterverwendet werden können, das Skript selbst jedoch nicht wörtlich zitiert werden sollte (weil es sich um mündliche Rede gehandelt hat). Angemerkt sei zudem, dass sich meine Ausführungen zum transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact, womit ich meinen Vortrag eröffnet habe, nicht in dem Skript befinden. Wer diesbezüglich Interesse hat, sei stattdessen auf die Webseite des 2010 gegründeten Netzwerks verwiesen: www.afrique-europe-interact.net

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Unterrichtsmaterialien: Zwischen Gewalt, Sachzwang und alltäglicher Praxis: Zur Geschichte von Migration und Flucht in bzw. aus Afrika (83 Seiten)

Veröffentlicht im Rahmen des von Arbeit und Leben Bremen e.V. koordinierten Projekts „Afrika gibt es nicht“, Februar 2018

Kurzbeschreibung: Im Modul 3 – Zwischen Gewalt, Sachzwang und alltäglicher Praxis: Zur Geschichte von Migration und Flucht in bzw. aus Afrika – thematisiert und dekonstruiert Olaf Bernau die Mythen rund um das Thema Migration und Flucht in bzw. aus Afrika. In 15 Kapiteln vermittelt das Modul tiefe Einblicke in die lange und zum Teil äußerst gewaltvolle Geschichte der Mobilität – vom Transsahara-Handel seit dem 8. Jahrhundert über Sklaverei und Zwangsarbeit bis hin zu unterschiedlichen Dimensionen von Migration und Flucht in der Gegenwart. In diesem Kontext wird auch der Frage nachgegangen, was Mobilität aus afrikanischer Perspektive überhaupt bedeutet. Ein wichtiges Stichwort ist hierbei das der zirkulären Migration.

Das Modul 3 kann hier runtergeladen werden. Die übrigen Module zu weiteren Themen finden sich auf der Webseite von „Afrika gibt es nicht“.

EU verlagert Grenze in die Wüste Wie das „Alarmphone Sahara“ Migrant_innen praktisch unterstützen möchte

Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (7. Dezember 2017)

8. Februar 2017, Busbahnhof in Ouagadougou, Hauptstadt von Burkina Faso: Nichts geht mehr, der gesamte Fernverkehr in dem westafrikanischen Land ist zum Erliegen gekommen, niemand kann der 11-köpfigen Recherchegruppe von Afrique-Europe-Interact sagen, wann die Busse wieder fahren. Was wie ein ganz gewöhnlicher Arbeitskampf aussieht, hat freilich eine globale Dimension: Nicht die Busfahrer streiken, sondern die Unternehmen. Ihre Aktion richtet sich gegen die zahlreichen Kontrollposten, die die Regierung auf Betreiben der EU entlang der wichtigsten Nationalstraßen neu eingerichtet hat.

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Flucht- und migrationspolitische Kämpfe: Vom Kampf um gleiche Rechte zur Kritik an wachstumsbezogenen Ursachen von Flucht und Migration

Buchbeitrag: Konzeptwerk Neue Ökonomie & DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften (Hrsg.): Degrowth in Bewegung(en). 32 alternative Wege zur sozial-ökologischen Transformation. oekom-Verlag 2017

Vorbemerkung: Zu Beginn sollten die Autor*innen des Sammelbandes jeweils benennen, ob sie den Text allein oder mit anderen geschrieben haben – eine weitere Maxime des Buchprojektes lautete, dass alle Autor*innen die gleiche Textstruktur mit den gleichen Leitfragen einhalten sollten: „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ – der von Flüchtlingsselbstorganisationen geprägte Slogan verklammert auf pointierte Weise Flucht und Migration mit den komplexen Dynamiken globaler Ausbeutung und Zerstörung. Vor diesem Hintergrund bin ich mit meiner lokalen Gruppe NoLager Bremen in dem transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact aktiv, einem seit 2009 laufenden Organisierungsprozess zwischen afrikanischen und europäischen Basisinitiativen. Den Beitrag habe ich alleine verfasst, allerdings unter Rückgriff auf viele der im vorliegenden Text skizzierten Debatten und Organisierungserfahrungen – seit es mit Geflüchteten hierzulande, Abgeschobenen in Togo oder kleinbäuerlichen Aktivist_innen in Mali.

1. Im Zentrum der Kämpfe für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte steht der alltägliche Widerstand der Migrant_innen und Geflüchteten selbst

Als sich am 4. September 2015 mehrere tausend Menschen vom Budapester Hauptbahnhof zu Fuß auf den Weg Richtung Österreich machten, dämmerte es nicht nur Angela Merkel, sondern der europäischen Öffentlichkeit insgesamt: Es waren nicht Aktivist_innen, die sich in jenen Tagen anschickten, das Europäische Grenzregime buchstäblich aus den Angeln zu heben. Ausschlaggebend war vielmehr die massenhafte Aneignung des grundlegenden Rechts auf Bewegungsfreiheit durch ganz normale Menschen – junge wie alte, Kinder, Frauen und Männer, gläubige und nicht gläubige, gesunde und solche, die im Rollstuhl saßen. Diese ebenso simple wie grundlegende Feststellung verweist darauf, dass es die Migrant_innen und Geflüchteten selbst sind, die Deutschland, mithin Europa verändern – und zwar nicht erst seit dem vom politischen Mainstream irreführenderweise als „Flüchtlingskrise“ etikettierten Sommer der Migration 2015.

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Abschiebung

Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (8. Dezember 2016)

Dass die Abschiebezahlen weiterhin steigen sollen, daran lässt die große Koalition in Berlin derzeit keinen Zweifel. Das aber ist gar nicht so einfach. Denn viele Migrant_innen und Geflüchtete legen nach ihrer Ankunft in Europa keinen Pass vor – teils, weil sie nie einen besessen oder ihn verloren haben, teils, weil sie nicht an ihrer eigenen Abschiebung mitwirken wollen. Die europäischen Behörden lassen deshalb nichts unversucht, Passersatzdokumente zu organisieren, auch bekannt als “traveling certificates” bzw. “laisser passer”. Verantwortlich hierfür sind die Botschaften oder Regierungsbehörden der mutmaßlichen Herkunftsländer, die gegen stattliche Geldsummen die (angebliche) Herkunft und Identität einer Person bestätigen und auf dieser Grundlage Passersatzpapiere zum Zwecke der Abschiebung ausstellen. Diese Verfahren zur Identitätsfeststellung sind freilich extrem intransparent.

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Grenzregime als Fluchtursache. Wie Abschottungspolitik afrikanische Länder destabilisiert

Beilage von Afrique-Europe-Interact in der bundesweiten Ausgabe der tageszeitung taz (8. Dezember 2016)

Die Zustimmungsraten zu einer humanitären Asyl- und Migrationspolitik sind in Deutschland dramatisch eingebrochen. Hierzu passt, dass die Bundesregierung in den vergangenen 12 Monaten ihre zahllosen, eng mit der EU abgestimmten Abschottungsmaßnahmen gegen Geflüchtete vergleichsweise geräuscharm durchsetzen konnte. Spürbar ist dies bereits im November 2015 anlässlich des afrikanisch-europäischen Migrationsgipfel in Maltas Hauptstadt Valletta geworden. Damals verpflichtete sich Europa, die grotesk niedrige Summe von 1,8 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um Fluchtursachen in Afrika zu „bekämpfen“. Im Gegenzug sollten sich die afrikanischen Länder bereit erklären, Abschiebungen aus Europa zu akzeptieren und Geflüchtete Richtung Norden bereits frühzeitig auf dem afrikanischen Kontinent abzufangen.

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