26.11.2021 | Marebougou im Zentrum Malis: Wie sich die Bevölkerung gegen die Belagerung von Dörfern durch Dschihadisten wehrt

Marebougou liegt im Zentrum Malis – südlich von Mopti. Das Dorf wird seit Mitte Oktober von Kämpfern der dschihadistischen Gruppierung Katiba Macina belagert. Wer versucht, Marebougou zu verlassen, läuft Gefahr erschossen zu werden. Diese Konstellation ist nicht neu. 200 Kilometer entfernt sind die 3.000 Bewohner:innen des Dorfes Farabougou im Norden des Bewässerungsgebietes Office du Niger seit über einem Jahr von Dschihadisten umzingelt – unterbrochen lediglich von einer kurzen Ruhepause anlässlich eines mündlich geschlossenen Friedensvertrages im März 2021 (vgl. den Beitrag der Deutschen Welle „A Farabougou, le risque d’un précédent pour le Mali“ vom 15.04.2021 sowie den Blogeintrag „Zur Eindämmung lokaler Gewaltkonflikte in Mali durch lokale Friedensverhandlungen. Hinweise zu den Analysen von Boubacar Ba“ vom 11.11.2021 ).

Ähnlich wie in Farabougou und an anderen Orten zeigt sich die Bevölkerung rund um Marebougou empört über die Unfähigkeit der malischen Sicherheitskräfte, Zivilist:innen effektiv zu schützen. Forciert wird der Unmut durch den Umstand, dass die Armee immer wieder Erfolgsmeldungen verlauten lässt, die aber unzutreffend sind. Selbst Lebensmittellieferungen aus der Luft haben die Eingeschlossenen nur teilweise erreicht. Folgerichtig haben sich am 14.11.2021 in der Nähe des Dorfes mehrere hundert Menschen zu einer Protestkundgebung zusammengefunden – gerade mal 2 Wochen, nachdem Frauen im Office du Niger anlässlich eines Anschlags auf eine wichtige Straße mehrere Tage demonstriert haben (vgl. meinen Blogeintrag „Office du Niger (Mali): Frauen-Proteste nach Anschlag auf Überlandstraße (inklusive Interviews)“ vom 10.11.2021).

Demo am 14.11.2021 gegen die Belagerung von Marebougou

Bemerkenswert waren die Forderungen der Demonstrant:innen: Sie setzten sich nicht nur für eine Stärkung der malischen Armee ein, sie forderten auch eine stärkere Rolle der UN-Friedensmission MINUSMA. Dies zeigt, dass die häufig berichtete Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den internationalen Truppen weniger eindeutig ist, als es Bilder von wütenden antifranzösischen oder antieuropäischen Demonstrationen Glauben machen. Für ein genaueres Verständnis lohnt es, auf die Ergebnisse des „Mali-Metre“ zurückzugreifen – einer Untersuchung, die die Friedrich-Ebert-Stiftung seit 2012 bereits zwölfmal in sämtlichen Regionen Malis durchgeführt hat. Danach zeigen sich 43 Prozent der Gesamtbevölkerung unzufrieden mit MINUSMA, und gerade mal 38 Prozent zufrieden. Als Grund für diese Unzufriedenheit geben 76,7 Prozent an, dass MINUSMA die Zivilbevölkerung nicht hinreichend schützen würde, was umgekehrt bedeutet, dass besserer Schutz (den MINUSMA nach Auffassung der Bevölkerung durchaus leisten könnte) auch das Niveau der Zufriedenheit mit MINUSMA erhöhen würde. Ebenfalls interessant sind die geographisch bedingten Unterschiede in den Antworten der Menschen: Die Unzufriedenheit mit MINUSMA ist vor allem im Süden und Westen des Landes groß, also dort, wo es vergleichsweise wenig bewaffnete Konflikte gibt und wo keine MINUSMA-Truppen stationiert sind. Demgegenüber sind in den am stärksten von den gewalttätigen Konflikten betroffenen Regionen die Zustimmungsraten zu MINUSMA am höchsten – obwohl die dortige Bevölkerung am stärksten unter dem Umstand leidet, dass MINUSMA allenfalls punktuell seinen Schutzauftrag erfüllen kann. Beispielsweise äußern sich in der Region Timbuktu 50 Prozent der Bevölkerung positiv über MINUSMA, aber nur 33 Prozent negativ. Noch eindeutiger in Gao: Dort beträgt die Zustimmung 71 Prozent, die Ablehnung hingegen gerade mal 20 Prozent (die Zahlen stammen von März 2021 – vgl. hierzu „MALI-METRE. Enquête d’opinion «Que pensent les Malien(ne)s ?»).

Gewiss, die Gründe für Ablehnung und Zustimmung sind vielfältig und komplex (beispielsweise ist MINUSMA in Gao auch deshalb beliebt, weil die UN-Mission ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region ist). Und doch zeigen diese Ergebnisse – ähnlich wie die Zustimmungs- bzw. Ablehnungsraten bezüglich der französischen Anti-Terrormission BARKHANE –, dass die Menschen vor allem dort militärischen Schutz einfordern, wo sie tatsächlich Gefahr laufen, durch terroristische Angriffe zu Schaden zu kommen, was auch daran deutlich wird, dass sich trotz der offensichtlichen Mängel 93,3 Prozent der Bevölkerung „zufrieden“ mit den malischen Streitkräften zeigen – 64,2 Prozent sogar „sehr zufrieden“.

Eine etwas andere Perspektive nimmt der Sozialwissenschaftler Boubacar Ba ein (vgl. meinen weiter oben bereits verlinkten Blogeintrag vom 11.11.2021). In einer am 15.11.2021 verschickten Kurzanalyse berichtet er, dass eine aus lokalen Jägern – sogenannten Dozo – zusammengesetzte Selbstverteidigungseinheit am 17./18.10.2021 versucht habe, den Belagerungsring um Marebougou zu durchbrechen. Doch die Aktion misslang, die Katiba Macina tötete über 100 Dozo und verletzte Dutzende schwer. Zwei Tage später seien Dozo-Jäger in der nahegelegenen Stadt Djenné aufgetaucht, um einige der Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Gleichzeitig hätten sie sechs Angehörige der Volksgruppe der Fulbe getötet (besser bekannt unter ihrem französischen Namen „Peulh“) – offenkundig aus Rache für die von der Katiba Macina getöteten Dozo.

Die Tat löste allenthalben Entsetzen aus, daran lässt auch Ba keinen Zweifel: „Die legendäre Stadt Djenné hat noch nie eine solche von interkommunitärer Vergeltung [zwischen verschiedenen Volksgruppen – O.B.] befeuerte Konfrontation erlebt.“ Umso außergewöhnlicher sei es gewesen, so Ba weiter, dass ein lokaler Chef der Dozo am 13.11.2021 zu einer Friedensmission nach Djenné gekommen sei und dies mit der Verhaftung von zwei Dozo-Jägerm verbunden habe, die am 20.10.2021 bei dem tödlichen Angriff auf Fulbe in Djenné beteiligt gewesen sein sollen. Ba schlussfolgert daraus, dass es am Ende in erster Linie die lokalen Friedens- und Versöhnungsinitiativen seien, die das Gewaltgeschehen im Zentrum Malis beenden könnten: Die Zusammenstöße erfolgten „in einem umfassenden und betäubenden Schweigen der lokalen und nationalen Behörden sowie der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte. Die einzige noch mögliche Lösung ist die Übernahme von Verantwortung durch die Familienvorstände und die Führer der Volksgruppen, die vor Ort geblieben sind. Nur sie können die Verantwortung übernehmen, um zu retten, was noch zu retten ist.“